Demokratie lernen: "Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen." (Art. 20.1 EMRK)

Foto: Christian Grass

Die neuen Methoden der NMS: Die Kinder lernen, wie man sich Zeit einteilt, mit Freiheit umgeht.

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Die Bürser Mittelschule trägt zwei Gütesiegel: Unesco-Schule und Ökolog-Schule. Eine Unesco-Schule hat Modellcharakter, will Interesse für Neues, Fremdes, anderes wecken, hier lernen Kinder (und Lehrer) Demokratie. Eine Ökolog-Schule ist eine Schule zum Wohlfühlen, für ökologisches und soziales Engagement. So die Theorie. Und die Praxis?

Der erste Eindruck: Still ist es im neuen Schulhaus, ungewöhnlich still für eine Schule mit 160 Kindern. Und: Es duftet wunderbar nach Holz. Die Tür zur Direktion steht sperrangelweit offen. Direktor Bernhard Neyer sitzt am Schreibtisch, telefoniert, winkt die Gäste herein. Offene Türen sind hier Programm. Zwei Buben kommen ins Büro, soeben fertiggestellte Dekorationsstücke in den Händen. Ob er nicht einen Kleber hätte für die Deko, so einen, der die neue grüne Wand ja nicht beschädigen würde, fragen sie den Schuldirektor. Ganz normales Klebeband sollen sie nehmen, rät der Direktor: "Wenn die Wand das nicht aushält, ist sie ein Glump." Die Kinder sind beruhigt und basteln weiter für die große Eröffnungsfeier. Sie haben nämlich ein neues Schulgebäude bekommen.

Bunte "Lernstuben"

Alles öko, logisch: Eiche geölt auf den Böden, Weißtanne für Türen, Wände, Decken, Tageslicht durch große Fensterflächen. Die Klassenräume sind großzügig, die Möblierung ist giftfrei bunt. Ruhiger und gelöster seien die Kinder durch die neue Architektur (Gerhard Gruber), sagt Sabine Jankowitsch, die bereits im Altbau unterrichtet hat. "Lernstuben" nennt der Direktor die acht Klassenräume. "Vier Jahre lang wohnen und arbeiten die Kinder in der gleichen Stube." Fünfte und siebente Stufe, sechste und achte bilden jeweils eine räumliche Lernebene. Jede der acht Klassen "erweitert ihr Revier auf den Gang hinaus" (Neyer). Die Kinder lernen dort in Lernecken, Gruppenräumen, auf Sofas. Alles ist für die Schulzukunft, die ganztägige und gemeinsame, vorbereitet.

Die Lehrenden können sich aussuchen, wo sie ihren Arbeitsplatz aufschlagen. Im Erdgeschoß, Materialien und Geräte in Reichweite, oder in transparenten Arbeitsbereichen auf den Lernebenen bei den Kindern. Jede Lehrperson hat ihren Rollcontainer und zusätzlichen Stauraum in Kästen und Regalen. Computer, Teeküchen, ein Konferenzzimmer machen die neue Arbeitswelt perfekt. Jede Klasse wird von drei Lehrenden der Kernfächer Deutsch, Englisch und Mathematik im Team betreut. Sie erstellen wöchentlich gemeinsame Arbeitspläne und Materialien, kooperieren in Klassen- und Stufenteams. Teamarbeit sei zwar am Anfang eine Umstellung, bewähre sich aber sehr, sagt Gerhard Pocza, der seit 28 Jahren Lehrer ist: "Man ist am Schulschluss nicht so ausgepowert."

Selbst probieren und erkennen

"In diesem Gebäude stecken 20 Jahre Erfahrung mit alternativen Lehr- und Lernformen", ist Bernhard Neyer stolz. Man nimmt Anleihen bei Montessori, Freinet, Steiner, Petersen, adaptiert auf heutige Bedürfnisse und Erkenntnisse. Mittelschul-Schwerpunkte sind vernetzter Unterricht und Lerntypenfeststellung. Das bedeutet, bei bestimmten Themen fächer- und klassenübergreifend zu arbeiten, vor allem aber die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder je nach Lerntyp und Begabung zu fördern. Frontalunterricht hat in Bürs ausgedient, man setzt auf multisensorische Vermittlung. Werkstätten für Holz, Metall, Ton, ein Textilatelier, der Physiksaal unterstützen das "begreifende Tun". Selbst probieren, erkennen, herausfinden, dann mache es "klick", sagt Neyer.

Für Demokratie und soziales Lernen sind zweieinhalb Wochenstunden reserviert. Jede Klassengemeinschaft erstellt Verträge für das Zusammenleben. Beispielsweise, wie man sich in der Freiarbeit verhält. Sechs bis neun Wochenstunden wird nach differenzierten Arbeitsplänen, den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder entsprechend, selbstständig gearbeitet. Die Kinder lernen, wie man sich Zeit einteilt, mit Freiheit umgeht. Die Aufgaben lösen sie allein oder im Team. Die Lehrenden sind Begleitung. Unterstützung geben auch die älteren Kinder. Konrad aus der Dritten: "Die Erstklässler kennen sich mit der Freiarbeit nicht aus, denen muss man da schon helfen." Loreen, die gerade von Konstantin Mathenachhilfe bekommt, findet den Konstantin einen super Lehrer. Wenn sie größer ist, will sie auch helfen, "am liebsten in Englisch".

Das coole Pensenbuch

Das Coolste an ihrer Schule sei das Pensenbuch, sagt die Erstklässlerin Kim: "Wir haben nämlich keine Noten." Im Pensenbuch werden erreichte Lernziele abgehakt, Defizite konkret beschrieben. So erfahren Eltern detailliert, welche Fähigkeiten ihr Kind hat, wo es sich verbessern sollte. Die alternative Beurteilung muss von den Eltern jedes Jahr neu mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Sie gilt nur in der fünften und sechsten Stufe, in der siebenten und achten wird auf Wunsch der Elternmehrheit benotet. Was nicht nur die Kids bedauern. Statt einer Schulordnung gilt für die Bürser Kinder die Regel: "Langsam, leise, friedlich, freundlich." Auf Schriftbändern, die sich über alle Glasflächen der Schule ziehen, stehen die übergeordneten Leitlinien: die Artikel der Menschenrechte.  (Jutta Berger, DER STANDARD, Family, 7.4.2014)