Foto: Jacoby & Stuart
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Die italienische Lehrerin Camilla Castagnola bezirzte den Matthias Sindelar nicht nur, aber auch im Café, auf dass dieser fliegen und Vater und Sohn Freude machen könne.

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Wien - Wenn das nur niemand dem Peter Menasse weitererzählt, was da am Dienstag als Kinderbuch präsentiert wird! Der Chefredakteur der Wiener Zeitschrift Nu hat ebendort schon vor mehr als einem Jahrzehnt detailreich dargelegt, wie sehr der gottbegnadete Zwischenkriegs-Fußballer Matthias Sindelar kein Widerstandskämpfer gewesen ist. Sondern - will man euphemistisch daherreden - ein Dolm, aber doch ein "arisierend" raffgieriger.

In dem Buch Abseits - 1938. Ein Fußballer sagt Nein wird das in einer geradezu putzigen Weise gegenteilig abgehandelt. Das darf selbst dann als erstaunlich vermerkt werden, wenn man in Rechnung stellt, dass der Autor - Fabrizio Silei - genauso ein Italiener ist wie Nello Governato, der ihm mit dem Roman L'ultima partita die Vorlage dafür geliefert hat.

Maurizio A. C. Quarello hat die nicht bloß kurz angebundene, sondern auch kurz gegriffene Geschichte recht anmutig illustriert: ein forsch bärtiger Vater bringt seinen Sohn mit zum sogenannten Anschluss-Spiel am 3. April 1938, in welchem die nunmehrige Ostmark dem Altreich höchstens ein Remis hätte gönnen dürfen. Der Herr Papa aber ging - durch unterschiedlich lange Zündhölzer dazu aus einer trutzigen Widerstandsgruppe gelost - am Vorabend in ein Café, um den Schindi zu drängen, ja nicht zu spielen bei dieser abgekarteten Farce. Statt Schindi sprach er aber mit Camilla "seiner italienischen Verlobten". Das kommt in der Verschwörergruppe nur mäßig gut an, doch der Vater weiß sich zu rechtfertigen: "Sie ist Lehrerin und nicht blöde."

Sterbenspartnerin

Tatsächlich freilich war Camilla Castagnola, die nicht nur die Lebens-, sondern vor allem auch die Sterbenspartnerin des Austria- und Wunderteam-Stürmers gewesen ist, die Wirtin einer sogenannten Gulaschhütte, einem "Zum Weißen Rössl" benannten Lokal für Nachtschwärmer in der einschlägig beleumundeten Annagasse, in einem gewissermaßen auch theatralisch geadelten Haus der Vergnügungen, ja Freuden.

Dort starben die beiden am 23. Jänner 1939, und zwar mit Sicherheit nicht durch eigene Hand, sondern infolge einer Rauchgasvergiftung. Dass die damals noch junge Wiener Emigration das depperte Kohlenmonoxid - woran Winter für Winter ja hunderte starben - nicht akzeptieren wollte, ist leicht nachvollziehbar.

Dem Alfred Polgar schien die Größe des Fußballers nur zur Gewalt des Suizides zu passen. Dieser wunderbare Kicker, so schrieb es der nach Paris vertriebene Polgar in die offenen Ohren seiner Leidensgenossen, wollte eben Wien nicht mit dem Gespenst von Wien betrügen. Damals, 1939, hat das seine Stimmigkeit gehabt.

Das aber den heutigen Kindern so erzählen zu wollen ist doch etwas zu gewagt, als dass man dem Peter Menasse sagen könnte, die deutsche Ausgabe werde am Dienstag um 14 Uhr im Palais Auersperg präsentiert. Dort aber eh in angesagt kritischer Diskussionsform. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD - 24.3. 2014)