Verena Winiwarter & Hans-Rudolf Bork: "Geschichte unserer Umwelt - Sechzig Reisen durch die Zeit", 192 Seiten, € 41,10, Primus 2014.

Coverfoto: Primus

Wien - Anhand von 60 Beispielen aus aller Welt berichtet die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter, die vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zur "Wissenschafterin des Jahres 2013" gewählt wurde, über Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur. Die Lehren daraus fasste Winiwarter Donnerstagabend bei einem Vortrag in Wien zusammen, der schon in Buchform erschienen ist. Sie plädiert darin für "Rücksicht und Weitsicht" und dafür, aus der Umweltgeschichte zu lernen.

Ein Eingriff, 800 Jahre lang Kampf mit den Folgen

In ihrem im April erscheinenden Buch "Geschichte unserer Umwelt - Sechzig Reisen durch die Zeit", das sie gemeinsam mit dem deutschen Ökosystemforscher Hans-Rudolf Bork verfasst hat, veranschaulicht Winiwarter die oft ungeahnten Nebenwirkungen, die entstehen können, wenn der Mensch glaubt, die Dynamik der Natur kontrollieren zu können. Ein Beispiel dafür lieferte sie auch in ihrem Vortrag bei den Wiener Vorlesungen, der im Picus Verlag als kleiner, gemeinsam mit Bork verfasster Band erschienen ist.

In den Niederlanden wurde um 1200 herum begonnen, Moore trockenzulegen, um Ackerland zu gewinnen. Weil ein entwässerter Boden viel weniger Platz als zuvor braucht, sank die Landoberfläche tiefer und tiefer. Die Folge: zunehmende Bedrohung durch Überflutungen. Also baute man Deiche zum Schutz vor dem Meer. Die Absenkung ging trotzdem weiter, bis zum Grundwasserspiegel. Also musste das Wasser abgepumpt werden, man baute zahlreiche Windmühlen. Doch zunehmend dringt nun das Meerwasser über den Untergrund ein. "Seit mehr als 800 Jahren sind Menschen in den Niederlanden mit der Beherrschung der Nebenwirkungen eines einzigen Eingriffs, der Trockenlegung, beschäftigt", so die Umwelthistorikerin.

"Gesellschaften verändern sich ständig - Kontrolle ist nicht langfristig oder global möglich", sind Winiwarter und Bork überzeugt. Der Blick in die Vergangenheit helfe, Fehler zu vermeiden, die schon einmal gemacht wurden.

Weg des geringsten Risikos

Winiwarter erinnert an den vom österreichischen Kybernetiker Heinz von Foerster (1911-2002) aus der Kenntnis der Komplexität der sich wandelnden Erde und ihrer Menschen formulierten ethischen Imperativ "Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird". Weil man aber nicht im Vorhinein wisse, welche Handlungen die Wahlmöglichkeiten vergrößere, hält es die Umwelthistorikerin für "klug einen vorsorgenden Weg des geringsten Risikos einzuschlagen".

Dabei sei es nicht ausreichend für eine Gesellschaft, wenn ihre Mitglieder individuell vorsorgen. "Es bedarf kollektiver Aktionen, die gemeinsam entschieden und geplant werden. Es geht tatsächlich um eine vorsorgende, transparente Gesellschaft und nicht nur um eine Gesellschaft vorsorgender Menschen", so Winiwarter, die diese Entwicklung davon abhängig sieht, "ob wir eine Empathiegemeinschaft bilden können". Rücksicht auf die Nächsten sei dafür nicht genug. "Wir müssen gemeinsam Entscheidungen treffen, die weit in die Zukunft hinein wirken, obwohl wir mit viel Unsicherheit konfrontiert sind."

Zu Einsicht, Umsicht und Voraussicht müsse aber auch Zuversicht kommen, denn "eine umfassende gesellschaftliche Transformation braucht zuversichtliche Menschen", sind Winiwarter und Bork überzeugt. (APA/red, derStandard.at, 22. 3. 2014)