Gesetze des Zufalls: "Those Who Stay Those Who Go".

Foto: Filmladen

Graz - "Ha, ha, i bin schon wieder weg." Mit diesen beziehungsreichen Worten der 2009 verstorbenen Dichterin Elfriede Gerstl endet eine kurze Szene in Ruth Beckermanns neuem Film Those Who Go Those Who Stay. Selbst die, die bleiben, gehen also irgendwann. Bei wem soll der Film bleiben? Das ist hier eine wesentliche Frage.

Üblicherweise haben Filme ein Thema, das sich mit Protagonisten verbindet. Denen folgen wir dann. Nicht so hier. Das Motiv, das Beckermann ihrem Film voranstellt, ist das von Theseus im Labyrinth. Der Held in der griechischen Mythologie findet wieder heraus. Was dabei unterschlagen wird, privilegiert Beckermanns Film: die Eindrücke, die Theseus im Inneren gewonnen haben muss, die Impressionen, die sich einstellen, wenn man um eine Ecke geht. Das Beobachten an einem zufällig erreichten Punkt.

Aus solchen Eindrücken setzt sich auch ihr Film zusammen, den man als eine lose Assoziationskette rund um die Themen Flucht, Exil, Migration sehen könnte. Dahinter lässt sich noch ein weiterer Aspekt erkennen: die Zufälligkeit. Georg Stephan Troller wollte immer einmal etwas machen über zufällig gewählte Protagonisten in einer Shopping-Mall. Man setzt sich hin, zählt bis zehn, die zehnte Person wird Gegenstand einer Reportage, einer Erzählung. Er hat sich nie getraut. Beckermann löst das nun bis zu einem gewissen Grad ein. Sie trifft afrikanische Einwanderer in Süditalien, von denen einer hofft, er könnte einmal für den AC Mailand spielen. Sie sieht Mädchen beim Minigolf zu, eine großartige Szene, doch ohne Gewicht in der Gesamtkonstruktion des Films.

Beckermann geht aber bis zu einem gewissen Grad sogar noch weiter als Troller, denn sie wendet das Prinzip der Zufälligkeit wieder auf sich selbst zurück: auf die eigene Mutter, auf Menschen, die nach Israel gingen, auf Orte, die in ihren Filmen schon früher einmal eine Rolle gespielt haben.

Autobiographien sind in den meisten Fällen besonders gute Beispiele für konventionelle Formen des Erzählens: Sie beginnen an einem Anfang und führen zu einem Punkt, an dem die Erzählung sich schließt. Doch es gibt eben auch andere Formen, und Those Who Go Those Who Stay zählt zu diesen: Der Film ist skizzenhaft, sammelt nicht nur die bedeutenden Momente.

Es gibt ein tolles Gespräch, das Beckermann selbst mit ihrem Kameramann Peter Roehsler in einem Auto führt. Die Kamera ist irgendwo unter der Windschutzscheibe festgemacht, wir werden Zeugen einer typischen Konversation zwischen einer Lenkerin und ihrem Beifahrer. Man redet eben so dahin. Ein Wort gibt das andere, und plötzlich sind wir bei einer Vision von einer Geschichte, die nur einer erzählen könnte: der Satan. "Er kennt die Gegend", sagt Roehsler in einer genialen Improvisation. Die Rede ist natürlich von Palästina, von Israel, von dieser Gegend, in der sich die Menschheitshoffnungen auf eine Verortung des Zufälligen im Grundsätzlichen so kompliziert verschränken. Those Who Go Those Who Stay zeigt eine Gegenposition: Das Zufällige ist das Grundsätzliche. Das aushalten zu lernen, dafür ist dieser exzellente Film eine gute Schule. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 21.3.2014)