Als Rechtswissenschafter schrieb Josef Hupka schon vor 1930 gegen antisemitisches Unrecht an. Wohl auch aus diesem Grund hat man Hupka - hier porträtiert von seinem Freund Ferdinand Schmutzer - nach 1945 allzu lange vergessen.

Foto: Reverend A. J. Parkinson

Das letzte Foto von Hermine und Josef Hupka, 1942 in den Niederlanden.

Foto: Reverend A. J. Parkinson

Es war eine Tat, auf die der niederländische Militärpolizist Gerrit van Kasbergen hätte stolz sein können. Im November 1942 entdeckte er im Grenzgebiet zu Belgien vier verzweifelte Personen. Sie waren von einem Schlepper gegen Geld an die Grenze gebracht worden, und versuchten vermutlich in jene Teile Frankreichs zu gelangen, die noch nicht besetzt waren. Doch niemand holte die vier Leute ab.

Trotz des großen Risikos gelang es dem erst 22-jährigen Kasbergen, der im Widerstand gegen die deutschen Besetzer organisiert war, die vier Personen in einem Bauernhof zu verstecken. Drei von ihnen stammten aus Wien: Josef Hupka und seine Frau Hermine waren 1939 über die Schweiz in die Niederlande geflüchtet. Bernhard Hellmann, der beste Freund des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, war bereits in den frühen 1930er-Jahren von Wien nach Rotterdam übersiedelt. Ihn begleitete sein damals siebenjähriger Sohn Paul.

Kasbergen konnte das völlig verzweifelte Ehepaar Hupka nur im letzten Moment davon abhalten, Selbstmord zu begehen. Und er arbeitete mit Kollegen vom Widerstand einen Plan aus, wie die Leute unauffällig in ein Versteck in Amsterdam gebracht werden konnten. In seinen Lebenserinnerungen, die 1987 als Buch erschienen, zweifelte Kasbergen im Fall der Hupkas rückblickend, ob er damals richtig gehandelt hatte.

Sieben Zeilen Würdigung

Wer aber war dieses ältere Ehepaar? Sucht man nach "Josef Hupka+Wien" im Netz, erhält man nicht allzu viele Treffer. Einer der ersten Links führt zu einem sieben Zeilen kurzen Eintrag im online-Gedenkbuch der Universität Wien. Man erfährt, dass Hupka ordentlicher Professor für Handelsrecht an der juridischen Fakultät war. Dann folgt der oft kopierte Stehsatz: "Er wurde im Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen verfolgt und 1938 seines Amtes enthoben (zwangspensioniert) und von der Universität Wien vertrieben."

Richtige Lexikoneinträge klingen beeindruckender: Dr. jur. mit 22 Jahren, erste Habilitation mit 26, zweite Habilitation mit 27, a.o. Professor mit 31. Einen Wikipedia-Eintrag zu seiner Person gibt es aber noch nicht, was verwundert. Denn nach gründlicheren Recherchen wird schnell klar: Der Mann war nicht nur ein bedeutender Rechtswissenschafter, sondern auch ein engagierter Intellektueller, der mutig gegen den Antisemitismus kämpfte, der das universitäre Klima nach dem Ersten Weltkrieg mehr und mehr vergiftete.

Proteste gegen den jüdischen Dekan

Hupka, der 1897 zum Protestantismus konvertiert war, hatte das Glück, noch 1915 ordentlicher Professor (also Ordinarius) geworden zu sein: Denn in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurde es für Wissenschafter jüdischer Herkunft an der Uni Wien immer schwieriger, berufen oder auch nur habilitiert zu werden. Entsprechend laut war auch der Aufschrei der Antisemiten, als Hupka 1926 gar zum Dekan seiner Fakultät gewählt wurde – der letzte rechts- und staatswissenschaftliche Dekan jüdischer Herkunft für viele Jahrzehnte.

Die frühen Nationalsozialisten demonstrierten in zahllosen Hetzartikeln gegen Hupkas Wahl. Und als sich der Dekan im Rektorat über die wüste Nazi-Propaganda gegen Juden in den Anschlagkästen in der Aula beschwerte, wurde das in der Nazi-Presse wörtlich als "erster Terrorakt des jüdischen Dekans Hupka" denunziert. Doch Hupka ließ sich nicht beirren, und selbst eine große Kundgebung auf der Freitreppe vor der Universität gegen die "widerrechtliche" Wahl Hupkas und die "Verjudung" der Hochschule blieb wirkungslos.

Umgekehrt blieb Hupka nicht ganz ohne Wirkung, als er sich 1928 für den jungen theoretischen Physiker Otto Halpern einsetzte, der sich habilitieren wollte. Da Halpern wissenschaftlich bestens qualifiziert war, warfen ihm die Antisemiten vor, mit 21 Jahren den Institutsschlüssel verloren zu haben, was ihn ungeeignet mache, Uni-Dozent zu werden. Hupka legte dagegen Protest ein – und der Fall landete prompt vor dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH), der die Entscheidung aufhob.

Das skandalöse Verfahren zog sich bis Ende 1932. Dann war auch der VwGH so weit korrumpiert, dass er der Universität recht gab. Diese wurde übrigens im letzten Verfahren vom antisemitischen Altphilologen und Pädagogen Richard Meister vertreten, der nach 1945 zwei Jahre lang Rektor war, von 1951 bis 1963 Präsident der Akademie der Wissenschaften und in dieser Zeit als die graue Eminenz der österreichischen Forschungspolitik galt.

Gegen die rassistische Studentenordnung

Die nächste Intervention Hupkas hatte dann richtig Erfolg. 1929 übernahm der Strafrechtsprofessor Wenzel Gleispach das Rektorat der Universität Wien. Eine der Amtshandlungen des Heimwehr-Mitglieds und Nazi-Anhängers, der sich schon im Fall Halpern mit Hupka stritt, war die Proklamation einer neuen Studentenordnung nach dem sogenannten Volksbürgerprinzip. Im Grunde ging es dabei um nichts anderes als um eine Einteilung der Studenten nach rassi(sti)schen Kriterien, um den jüdischen Studenten den Zugang zur Universität möglichst schwer zu machen.

Die am 9. April 1930 proklamierte Studentenordnung löste heftige Reaktionen aus. Die wichtigste Kritik daran formulierte Josef Hupka, der in einem aufsehenerregenden Text in der Neuen Freien Presse die rechtlichen Grundlagen der Studentenordnung zerpflückte. Tatsächlich sollten Hupkas Argumente Grundlage einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof werden. Dort sprach sich unter anderem Ludwig Adamovich senior für eine leicht modifizierte Fassung von Gleispachs Entwurf aus. (Adamovich war dann übrigens letzter Justizminister im Austrofaschismus, 1945 erster Nachkriegsrektor der Uni Wien und von 1946 bis 1955 Präsident des Verfassungsgerichtshofs.) Trotzdem wurde die Studentenordnung im Juni 1931 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Heftigste Uni-Krawalle der Nazi-Studenten waren die Folge.

Engagement in der Tiroler "Dreyfus-Affäre"

Besonders aufsehenerregend war Hupkas Engagement im Fall Halsmann, einem der größten Justizirrtümer der Ersten Republik, der als die "österreichische Dreyfus-Affäre" international für Aufsehen sorgte. Der in Deutschland studierende Philipp Halsmann hatte im September 1928 während eines Aufenthalts in Tirol mit seinem Vater Morduch Max Halsmann eine Wanderung unternommen. Der Vater wurde Opfer eines Raubmords.

Obwohl es keine Indizien und keine Tatmotive gab, die gegen den 22-Jährigen sprachen, wurde er von einem Innsbrucker Geschworenengericht im Dezember 1928 zu zehn Jahren Kerker verurteilt, knapp ein Jahr später wurde das Urteil auf vier Jahre herabgesetzt. Hupka kämpfte beherzt gegen der Urteil an, insbesondere gegen ein psychiatrisches Gutachtens, das der Wiener Universitätsdozent Anton Werkgartner erstellt hatte.

Halsmann wurde im September 1930 nach zahlreichen ausländischen Interventionen begnadigt und zugleich des Landes verwiesen. Hupka setzte sich dennoch für die volle Rehabilitierung Halsmanns ein und motivierte sogar Sigmund Freud zu einer Stellungnahme, da dessen "Ödipuskomplex" im Gutachten Werkgartners eine Rolle spielte. Werkgartner, ein früher NS-Sympathisant und illegales NSDAP-Mitglied, machte nach 1938 groß Karriere und war – nach einigen Jahren "Stehzeit" nach 1945 – bis 1961 ordentlicher Professor an der Uni Graz.

Ein Nazi als Nachfolger

Hupka selbst verlor nach dem "Anschluss" 1938 aufgrund der Nürnberger Gesetze seine Professur. Im März 1939 wurde ihm nach mehr als 35 Jahren an der Universität Wien auch noch die Pension gestrichen. Sein Nachfolger wurde Heinrich Demelius, ab dem 1. Jänner 1941 NSDAP-Mitglied. "Ideologisch ist er unter allen Akademikern, die ich kenne, der größte und unbeirrbarste Nazi", sagte seine Schwägerin im November 1945 über ihn. Demelius behielt den Lehrstuhl nach einer dreisemestrigen Zwangspause von 1948 bis 1965. Irgendwann nach 1945 verfasste er auch die bisher einzige Würdigung Hupkas seitens der Universität Wien. Sie ist nicht einmal eineinhalb Seiten lang und wurde nie veröffentlicht.

Gescheiterte Fluchtversuche

Nachdem die Nationalsozialisten Hupka 1939 noch das Prunkstück seiner Kunstsammlung abpressten (das 2004 immerhin restituiert wurde) und ihm nach mehr als 35 Dienstjahren für die Universität die Pension strichen, flüchteten Josef und Hermine Hupka im Mai 1939 nach Zürich, wo sie einen Asylantrag stellten – allerdings vergeblich. Also mussten sie weiter in die Niederlande. Dann schien die Rettung greifbar nah: Sie hatten für den 9. September 1939 einen Flug von Amsterdam nach London gebucht. Doch am 1. September brach der Krieg aus und die Flüge wurden gestrichen.

Im Mai 1940 besetzten die Nazis die Niederlande, und die Hupkas saßen endgültig in der Falle. Spätestens ab Mitte 1942 mussten sie sich verstecken, ehe sie den verzweifelten Fluchtversuch über die Grenze wagten. Paul Hellmann und sein Vater sahen einander in diesen Tagen im November 1942 zum letzten Mal. Paul Hellmann überlebte den Krieg dank mehrerer glücklicher Fügungen bei einer niederländischen Familie. Sein Vater hingegen wurde kurze Zeit nach dem Fluchtversuch verraten und in Sobibor ermordet.

Ein Held mit Gewissensbissen

Nazis nahmen Josef und Hermine Hupka vor ziemlich genau 70 Jahren in ihrem Amsterdamer Versteck fest und deportierten sie ins Konzentrationslager Theresienstadt. Dort endete die lange Leidensgeschichte von Josef Hupka am 23. April 1944. Für seine Witwe war das Martyrium immer noch nicht vorbei: Die Nazis verschleppten sie am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz, wo sie am 11. Oktober ermordet wurde.

All das erfuhr der Militärpolizist Gerrit van Kasbergen nach 1945 vom Roten Kreuz. Angesichts der traurigen Tatsachen hatte er Gewissensbisse, dass er Josef und Hermine Hupka im November 1942 vom Selbstmord abgehalten hatte, wie er in seinem Memoiren eingestand: Denn damit hatte er bloß ihren Leidensweg verlängert.

Gerrit van Kasbergen, der Held mit hohen moralischen Ansprüchen, starb vor wenigen Wochen am 4. Februar. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 19.3.2014)