Grafik: DER STANDARD

Rechtsextreme Straftaten haben im letzten Jahr in Österreich wieder massiv zugenommen – um 26 Prozent. Zumindest legen das Zahlen aus einer aktuellen Anfragebeantwortung von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) nahe. Demnach erreichten rechtsextreme, rassistische und antisemitische Tathandlungen 2013 den traurigen Rekord von 574. Bei der Internetmeldestelle gingen 1900 Meldungen zu rechtsextremen Inhalten auf Webseiten ein.

Grund für die Veröffentlichung der aktuellen Zahlen durch Mikl-Leitner war eine parlamentarische Anfrage des Grünen-Nationalratsabgeordneten Albert Steinhauser – DER STANDARD berichtete. Schon im vergangenen Jahrzehnt stiegen die Zahlen kontinuierlich, vor allem von 2006 auf 2007. Für Steinhauser sind die Gründe dafür klar: "Der Verfassungsschutz hat das Problem lange nicht ernst genug genommen, dadurch musste sich die Szene nicht sonderlich vor Strafverfolgung fürchten."

"Latte für Szene sehr hoch"

Steinhauser will eine Folgeanfrage einbringen, die Aufklärung darüber geben soll, welchen Verlauf die Taten vor Gericht nahmen. "Dort könnte sich in den letzten Jahren ein Rückstau gebildet haben", vermutet er.

Auch in der Politik sieht Steinhauser Verantwortliche für die explodierenden Zahlen: "Wenn eine Parlamentspartei wie die FPÖ immer wieder Tabus bricht, darf man sich nicht wundern, wenn die Latte für Jugendliche aus der rechten Szene schon sehr hoch liegt." Dass immer wieder Mitglieder freiheitlicher Jugendorganisationen in rechtsextreme Straftaten verwickelt waren, wie etwa in Oberösterreich und der Steiermark, könne man auch nicht ignorieren.

Im Innenministerium zieht man aus dem Anstieg nicht zwingend dieselben Schlüsse. "Wenn die Zahlen in der Statistik höher sind", so Karl-Heinz Grundböck, Sprecher vom Innenministerium zum STANDARD, "heißt dass nicht unbedingt, dass insgesamt mehr passiert ist". Es könne auch bedeuten, dass das "Hellfeld nun höher ist, denn das Dunkelfeld lässt sich nicht darstellen". Sprich: Es sind heute mehr Straftaten bekannt als noch vor einigen Jahren.

Eine andere Erklärung wäre, so Grundböck, dass "das Erkennen einer Tathandlung als rechtsextrem heute besser ist". Als Beispiel führt Grundböck ein auf ein Haus geschmiertes 88-Graffito an, dass noch vor 15 Jahren weniger Leute, auch weniger Polizisten, als codiertes "Heil Hitler" erkannten.

Das wirft freilich die Frage auf, wie gut Beamte in Österreich geschult werden, einen Neonazi zu erkennen, wenn sie einen sehen.

Bei der Polizeigrundausbildung wird Extremismus allgemein und Rechtsextremismus gesondert im Zusammenhang mit "Gesellschaftslehre" und mit dem NS-Verbotsgesetz vermittelt. Außerdem bietet die Sicherheitsakademie des Ministeriums Fortbildungsseminare an, die für Extremismus sensibilisieren sollen.

Spezialisten für alle Bezirke

Auch wenn das Ministerium Kritikern nie zustimmen würde, dass der Verfassungsschutz in der Vergangenheit zu wenig Augenmerk auf die rechte Szene legte, so hat sich diesbezüglich in den letzten zwei Jahren etwas getan: "Die Aktivitäten sind jetzt eingebettet in eine Gesamtstrategie", formuliert es Grundböck. Konkret arbeite der Verfassungsschutz intensiver mit dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie und dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zusammen. Seit einem Jahr gibt es in jedem Bezirk spezialisierte Beamte. Sie werden viermal jährlich in Fortbildungen geschickt, "primär in Sachen Rechtsextremismus", so Grundböck, "in weiterer Folge werden sie auch für andere Extremismusformen wie etwa Islamismus ausgebildet".

Der Grund, dass Albert Steinhauser überhaupt detaillierte Anfragen zu Straftaten aus dem rechten Eck, zu denen auch alle Verstöße gegen das Verbotsgesetz und zahlreiche Verhetzungen zählen, stellt, geht auf das Jahr 2002 zurück. Ernst Strasser, damaliger ÖVP-Innenminister der schwarz-blauen Regierung sorgte für die Abschaffung eines eigenen Rechtsextremismusberichts. Rechte Umtriebe bekommen seither lediglich auf einigen Seiten im allgemeinen Verfassungsschutzbericht vor.

Die darin enthaltenen Zahlen sind aber genauso wenig aussagekräftig wie jene aus der aktuellen Anfragebeantwortung. Unter rechtsextrem fallen viele unterschiedliche Tätergruppen – von der "klassischen" Neonazi-Organisation über rechte Bikerclubs zu Skinheadgruppen. Ebenso sehr unterschiedliche Taten: Ob eine Gruppe Neonazis über Menschen herfällt und diese schwer verletzt oder irgendwo ein Haus mit Hakenkreuzen beschmiert – die Taten landen im selben Zahlentopf. "Um effiziente Prävention auch für Jugendliche anzubieten, müssten wir aber jedes Jahr genau wissen, wohin die Entwicklung geht", kritisiert Steinhauser. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 19.3.2014)