Die britische Band Elbow labt sich für den Faustkampf an der Theke. Stimmt so nicht, aber ihr neues Album lässt mit seiner Angriffslust wohltuend aufhorchen.

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Wien - Schönheit und Langeweile sind oft Nachbarn. Man kennt das aus dem zwischenmenschlichen Bereich, dieses Auseinanderklaffen von Schein (Hechel! Hechel!) und Sein (Gähn!). Die britische Band Elbow hatte sich auf ihren letzten Alben zusehends auf eine Tonsetzerkunst verlegt, die sich auf reine Klangästhetik verlassen hatte. Dabei wurde übersehen, dass so ein verdammtes Lied günstigerweise eine Hookline hat, oder irgendetwas, das in die Nähe eines Wiedererkennungsmerkmals kommt.

Wirklich gelungen war das der Band um Sänger Guy Garvey zuletzt auf ihrem 2008 erschienenen Album The Seldom Seen Kid. Der Song Grounds For Divorce war ein Hit, ein Monster, der bisher beste Elbow-Song. Eine Art zeitgenössische Chain-Gang-Ballade, die trotz Blei an den Fesseln abhebt, dass es nur so eine Art hat.

Aber das war die Ausnahme. Der Rest des Albums gab sich schöngeistig und erstickte einen fast mit flächigen Arrangements ohne Tiefgang. Die Band, die oft als die besseren Radiohead tituliert wurde, drohte uninteressant zu werden, das Folgewerk Build a Rocket Boys! behandelte man höflich als Kandidat für den Komabereich in der persönlichen Plattensammlung. Dort, wo pflichtschuldig angeschaffte Langweiler dicht an dicht stehen.

Das nun veröffentlichte sechste Album The Take Off and Landing of Everything storniert jedoch den Totengräber. Was genau geschehen ist - man weiß es nicht. Jedenfalls empfahl sich ein herzgebrochener Garvey aus eben diesem Grund nach New York City. Trotz beachtlicher Erfolge in Übersee kennt ihn dort niemand. Garvey tat dort, was gestandene Männer mit blutenden Herzen eben tun: saufen.

Wir wollen das Klischee nicht beurteilen, jedenfalls schrieb er in New York einige Songs, und nachdem er der neuen Welt zugunsten der Heimat den Rücken gekehrt hatte und wieder zu Hause bei seinen Bandkollegen angekommen war, erinnerte man sich gemeinsam daran, dass so eine Albumaufnahme nicht der schlechteste Zeitvertreib ist. Gute Idee.

Das vorliegende Resultat ergibt das vielleicht geschlossenste Elbow-Album bisher. Okay, das waren die faden ebenfalls, aber The Take Off and Landing of Everything zergeht eben nicht in ästhetischen Basteleien, sondern bewegt sich immer wieder ins Midtempo, spielt dort mit allerlei Rhythmen und Elektronik.

Die Schrauben angezogen

Nachdem Elbow sich mit This Blue World behäbig ins Album schleichen, ziehen sie schon beim zweiten Song Charge die Schrauben an. Da taucht sogleich der "Beau" auf, der so sehr verliebt war, jetzt aber statt eines vollen Herzens nur den Inhalt einer Flasche in sich Pochen spürt.

Auch der nächste Song kommt nicht ohne das Wort "Scotch" aus, dazu jault zum ersten Mal die Gitarre auf. Faustkampf in der Bar? Diese Angriffslust steht der Band ausgezeichnet. Natürlich wird dazwischen Nabelschau betrieben, aber der Schlagzeuger muss hier nicht jedes Mal extra aufgeweckt werden, um das Werk vorwärtszubringen. Zehn Songs, und bei keinem blickt man auf die Uhr. Das erhärtet den Verdacht, man habe es möglicherweise mit einem Meisterwerk zu tun. (Karl Fluch, DER STANDARD, 19.3.2014)