Foto: diestandard/menopause
Wien - Die seit Beginn der Woche in Österreich geführte Debatte über die Gefahren einer Homonersatztherapie für Frauen nach der Menopause - bis zu 66-mal höheres Brustkrebsrisiko - scheint neben einem wissenschaftlichen vor allem einen politischen Hintergrund zu haben: Offensichtlich, um Frauen und in Folge auch Männer vermehrt zu Vorsorgeuntersuchungen zu animieren. Deren Sinnhaftigkeit jedoch alles andere als unumstritten ist.

Der laufende Streit um Hormonbehandlung ist so alt wie die Therapie selbst, Dutzende Studien versuchten bisher die Unbedenklichkeit oder das gesteigerte Brustkrebsrisiko zu belegen. Fast jährlich sorgt eine Untersuchung für Diskussionen, lässt Gegner und Befürworter aufeinander prallen.

Kalt gelassen

Jene Studie, die nun der Österreichischen Krebshilfe Anlass zur Warnung und VP-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat Grund für eine Überprüfung der Sachlage gibt, ist, wie berichtet, bereits vor zwölf Tagen im renommierten und viel gelesenen britischen Fachmagazin The Lancet erschienen - was alle heute erhitzten Gemüter zunächst völlig kalt ließ.

Brisanz erhielten die veröffentlichten Daten erst, als FP-Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck am Wochenende seine Pläne verkündete, die seiner Ansicht nach "antiquierte" Vorsorgeuntersuchungen in Österreich in eine moderne Form zu gießen.

Horrorszenario

Die Akzeptanz dafür ist groß, unterstützt vom Horrorszenario der plötzlich aktuellen Hormonstudie wurden auch die ersten österreichischen Daten präsentiert: Knapp 5000 Frauen erkranken jährlich an Brustkrebs, etwa 1600 sterben daran. Würden 85 Prozent der Frauen regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen, könnte die Anzahl der Todesfälle um rund 500 reduziert werden. Die Empfehlung: Mammografie zumindest alle zwei Jahre im Alter zwischen 40 und 70, jährliche Brust-Tastuntersuchung durch den Arzt und schließlich eine monatliche Brustselbstuntersuchung der Frauen.

Doch just mit dem monatlichen Abtasten soll es im Rahmen der Vorsorgemedizin laut Amerikanischer Krebsgesellschaft zu Ende gehen: Erst im Mai hat sie sich offiziell von ihrer Empfehlung der regelmäßigen Selbstuntersuchung distanziert. Nicht, dass sie den Frauen davon abrät, derart ihren Körper kennen zu lernen. Allein, es fehle der Beweis, dass die Technik die Zahl der Brustkrebstoten verringert.

Mehr Schaden als Nutzen

"Die Abkehr von der Tastuntersuchung symbolisiert einen fundamentalen Wechsel im Umgang mit der Krebsfrüherkennung", analysierte darauf die deutsche Wochenzeitung Die Welt - wenngleich Dutzende Studien die Sinnhaftigkeit solcher Untersuchungen unter Beweis zu stellen versuchen. Bisher habe das Prinzip Hoffnung gegolten: Jeder, der eine aussichtsreiche Methode propagierte, den Krebs noch früher aufzuspüren, konnte sich der Sympathie - und Kundschaft - sicher sein. "Doch langsam dringen auch die Grenzen der Verfahren ins Bewusstsein, plötzlich wird offen darüber diskutiert, dass allzu eifrige Kontrolle sogar mehr schaden als nützen kann."

Diese Ansicht vertritt auch der Epidemiologe Christian Vutuc, stellvertretender Vorstand des Wiener Instituts für Krebsforschung. Warum? "Weil es zum Beispiel keine gesicherte Daten darüber gibt, ob Mammografien die Zahl der Todesfälle durch Brustkrebs verringern können." Vorhandene Daten darüber seien in kontrollierten Studien gewonnen worden, die mit der Realität nicht vergleichbar seien. Man wisse nicht einmal, welche der in Österreich jährlich festgestellten Krebserkrankungen durch Mammografie entdeckt wurden oder sonst wie.

Weiteres Problem: Einer von fünf durch die Untersuchung entdeckten Tumoren ist ein "In-situ-Karzinom". Nach bisherigen Erfahrungen würden viele dieser Tumoren nie zu einem Problem. Ist ein solcher aber entdeckt, wird er sehr oft aggressiv behandelt. Das US-Fachblatt New England Journal of Medicine rechnete vor, dass unter 1000 Frauen im Alter von 50 durch zehnjährige Mammografie vier Frauen gerettet werden, aber bei sieben Frauen ein In-situ-Karzinom entdeckt - und meist behandelt wird.

Falsch-positive Befunde

Auch und gerade bei Frauen mit den meisten Brustkrebs-Risikofaktoren (siehe Grafik) gilt nach Krebsdiagnose: so schnell als möglich therapieren. Das britische Journal of the National Cancer Institute kommt jedoch zum Schluss, dass bei diesen Frauen das Risiko eines falsch-positiven Mammogrammes bei der ersten Untersuchung bei 98,1 Prozent, und bei der neunten sogar bei 100 Prozent liegt. Resultat: unnötige Therapien oder enorme psychische Belastung bis zur Abklärung.

Noch eklatanter sei die Situation laut Vutuc bei der Prostatavorsorgeuntersuchung. Abgesehen vom händischen Abtasten wird in Österreich seit zehn Jahren auch nach dem Krebsmarker "prostataspezifisches Antigen" gefahndet. Ist der Wert erhöht, nimmt der Arzt eine Gewebeprobe, um den Verdacht abzuklären. Bestätigt sich dieser, wird in der Regel die Prostata samt Krebsherd herausgeschnitten. "Bei sehr vielen älteren Patienten ist der Wert erhöht, meist findet sich auch ein Tumor", erklärt der Epidemiologe. Diese "Alterskarzinome" machen sich meist nie bemerkbar oder so spät, dass die Männer nicht an ihrem Krebs sterben, sondern mit ihm. Tausende Österreicher sind aufgrund dieser Vorsorgeuntersuchung bereits an der Prostata operiert worden - und deshalb vielleicht impotent und inkontinent.

Vutuc will sich dennoch nicht als Gegner der Vorsorge verstanden wissen: "Wer will, der soll" - vorerst jedoch auf eigene Kosten. Erst wenn Daten aus kontrollierten Studien die Sinnhaftigkeit bestätigten, entsprechende Qualitätsstandards und -sicherungen umgesetzt sind, sollte die öffentliche Hand diese finanzieren. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Printausgabe, 20.8.2003)