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Foto: APA/dpa/Jens Büttner
Der Schock saß tief. Als die weit gediehenen Regierungsverhandlungen mit der ÖVP im Winter scheiterten, war ein Teil der grünen Führungsspitze so perplex, dass sie monatelang in einen politischen Schlummer verfiel. Jetzt, zu Beginn der ORF-Sommergespräche, schienen Glawischnig & Co. aufzuwachen, als eine Art Aufmunterung für ihren gemächlichen Parteichef Alexander Van der Bellen. Die Grünen sprießen antizyklisch. Mitten in der Hitze anstatt im Frühlingswind.

Konturen zeigte die Partei, als sie sich dem roten Ansinnen widersetzte, sich ebenfalls Jörg Haider zu nähern. Nur der den Gewohnheiten des steirischen Grenzlandes verfallene Exmandatar Andreas Wabl schwenkte auf die Gusenbauer-Linie ein. Van der Bellen blieb bei der klaren Abgrenzung. Wodurch die Grünen an Verlässlichkeit gewannen.

Programmatisch hatten einige ihrer Exponenten in letzter Zeit ebenfalls einiges zu bieten. Der Parteichef selbst meldete sich im August mehrmals zu Wort - zu Steuerreform und Konjunkturbelebung, indem er für eine wirksame Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen plädierte, zur Klimapolitik, indem er scharf die Ablehnung von Tempo 160 auf Autobahnen vertrat, sowie zu Schwarz-Grün: kein fliegender Wechsel, aber Aufrechterhaltung der Option.

Eva Glawischnig modifizierte in einem Interview mit der Kleinen Zeitung die grüne Position in der Ausländerfrage. Sie kann sich bei der Einwanderung ein Punktesystem vorstellen, das dazu führen würde, wie in Kanada und in den USA nur noch gut Qualifizierte aufzunehmen. Wiens bürgerlicher Grüner Christoph Chorherr wiederum forderte eine Totalfreigabe der Ladenschlusszeiten für Einzelunternehmer, weil er darin eine Chance für die Kleinen sieht. Und Peter Pilz, der die SPÖ mehrmals als "Notarzt der FPÖ" bezeichnete, machte sich in News neuerlich für ein Verbot des privaten Waffenbesitzes stark.

In der Asylfrage sind die Grünen scharf auf Gegenkurs zum Innenminister - obwohl sie differenzieren. In den Salzburger Nachrichten bezeichnete Madeleine Petrovic Ernst Strasser "mit Einschränkungen" als Gesprächspartner für eine schwarz-grüne Kohabitation. Auch Klubchef Wilhelm Molterer und Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat gelten als grünverträglich, während die Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein als Gegner betrachtet werden.

Die Koalitionsfrage wird von den Grünen in der Tat gut gespielt. Indem sie das Tor zur ÖVP offen halten, gleichzeitig aber gegenüber dem Kärntner Landeshauptmann hart bleiben, setzen sie die Sozialdemokratie unter Druck. Gusenbauers Spargelkurs ist bei den Arbeitern und kleinen Angestellten sicher beliebt, die intellektuelle Fangemeinde läuft gedanklich zum grün-liberalen Van der Bellen über.

Im Hinblick auf die Stagnation in der österreichischen Innenpolitik sind die Grünen sicher gut beraten, wenn Van der Bellen eine Kandidatur für die Hofburg weit von sich weist - ohne sie völlig auszuschließen. Denn vielleicht wählen wir doch schon im Herbst 2004. Wenn Jörg Haider die Koalition sprengen sollte. Das ist auch einer der Gründe, warum der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll zögert. Wer weiß, ob Wolfgang Schüssel das nächste Jahr politisch überlebt. Pröll wäre ein Nachfolger.

Die Grünen jedenfalls müssen taktisch und programmatisch ihre neue Munterkeit in einen Zwischenwahlkampf verwandeln. Die Chancen, sich als eigenständige Oppositionskraft darzustellen, sind gewachsen. Die Möglichkeit, im Rahmen einer Roadshow die Bevölkerung anzusprechen, sollte genützt werden. Leider ist nach dem Rückzug von Stefan Schennach das Medienmanagement der Partei schwächer geworden. Von Eventmarketing ist derzeit wenig zu bemerken - ein Bauaufzug aber nötig. Inszenatorisch begabte Individualitäten gibt es genug. Man muss sie nur wirkungsvoll auftreten lassen. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.8.2003)