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Hans Hermann Groer stand von 1986 bis 1995 als Kardinal an der Spitze der Erzdiözese Wien.

Foto: Reuters/Jacqueline Godany
Wien - Der frühere Caritas-Präsident und Wiener Generalvikar Helmut Schüller spricht sich dafür aus, die "Causa Groer" nachträglich zu klären. Im Interview mit der "Presse" (Dienstag-Ausgabe) fordert er grundsätzlich scharfe Konsequenzen gegen Missbrauchstäter in der Kirche. Anlass für seine Überlegungen ist die Debatte um ein vatikanisches Dokument aus dem Jahr 1962, das Instruktionen für den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs im Zusammenhang mit dem Bußsakrament enthält.

Causa Groer stürzte die katholische Kirche in schwerste Krise seit 1945

Der umstrittene Kardinal Hans Hermann Groer ist von 1986 bis 1995 an der Spitze der Erzdiözese Wien gestanden. Er hat in den 90er Jahren die katholische Kirche in Österreich in die schwerste Krise seit 1945 gestürzt, nachdem er zu den Vorwürfen, minderjährige Knaben sexuell missbraucht zu haben, beharrlich geschwiegen hatte. Im März dieses Jahres ist Groer gestorben.

Schüller meint nun, dass die Affäre jetzt, nach dem Tod des Alterzbischofs, aufgeklärt werden könnte. Es müsse ja "nicht pietätlos sein, sich die Frage zu stellen, was damals wirklich passiert ist. Und es gibt noch Menschen, die Vorwürfe gegen ihn vorbringen. Ich glaube, es müsste nach wie vor eine Möglichkeit geben, diesen Vorwürfen nachzugehen. Alle Opfer sollen das Recht haben, dass dem, was sie vorbringen, nachgegangen wird."

Allgemein gültige Regeln gefordert

Grundsätzlich will Schüller, Leiter der Ombudsstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese Wien, allgemein gültige Regeln, wie sie die amerikanischen Bischöfe nach den großen Skandalen der vergangenen Jahre aufgestellt haben. Auch die Schärfe der Konsequenzen für Missbrauchstäter solle in diese Richtung gehen, das heißt, dass Priester nach dem ersten Missbrauchsfall ihres Amtes enthoben werden sollen.

"Schlüsselproblem Realitätsverweigerung"

Das "Schlüsselproblem" in den europäischen Diözesen sieht Schüller nach wie vor in der "Realitätsverweigerung": "Es gibt in der Kirche nach wie vor Leute, die meinen, das seien nur böswillige Verleumdungskampagnen gegen die Kirche. Wenn Missbrauchsfälle aufgedeckt werden, wehren sie sich ganz vehement dagegen. Weil da ein Kirchen- und Weltbild in die Brüche geht, neigt man - und das ist nach wie vor das Schlüsselproblem in fast allen europäischen Diözesen - eher zur Realitätsverweigerung. Das hat sehr unangenehme Konsequenzen für die Opfer, weil man zum Gegenangriff übergeht. Es werden dann Opfer verleumdet. Leute, die reden, werden schlecht gemacht, man unterstellt ihnen böse Absicht."

Funktion der Ombudsstelle

Die Ombudsstelle könne in solchen Fällen "zuhören, wir können der Stimme des Opfers in der Kirche ein Gewicht geben, wir können Hilfe anbieten und sehen, dass weitere Gefahr abgewendet wird. Durch unsere Informationen an die Verantwortlichen in der Kirche wird es möglich, Konsequenzen zu ziehen, indem Täter von ihren Aufgaben abgezogen werden und/oder in Therapie gebracht werden."

Schüller hat vor einem Jahr Richtlinien für den kirchlichen Umgang mit sexuellem Missbrauch ausgearbeitet. Einzelne Bischöfe, so berichtet er, hätten angefangen, schärfere Konsequenzen zu ziehen. Von einem allgemein gültigen Regelwerk könne man in Österreich noch nicht sprechen, es werde aber wohl letztlich zur Amtsenthebung bereits beim ersten Fall des Missbrauches kommen, glaubt er.(APA)