Den Ruf des Nachzüglers hatte BMW eigentlich eh nie, auch wenn sie bis vor Kurzem der letzte Motorradhersteller waren, die ins Rollergeschäft einstiegen. Inzwischen sind die Deutschen mit dem Elektroroller cEvolution ohnedies die Vorreiter und geben den Ton an. Honda, Suzuki und Yamaha haben schon vor Jahren Stellung bezogen. Yamaha baut die Sportmodelle unter den Scootern, Suzuki zeigt mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis auf, und Honda ist der Premiumanbieter mit den aktuellen Sicherheitsfeatures und dem permanenten Mut, Neues zu probieren. Irgendwo dazwischen muss Kawasaki jetzt auch noch seinen Platz gefunden haben.

Foto: der standard/gluschitsch

Die Herausforderung, einen Markt, der sich bereits sortiert hat, aufzumischen, ist gewaltig.  "Schauma mal, dann sehma scho", spielt es nicht. Kawasaki musste also einen ausgereiften Roller auf den Markt bringen, ohne Kinderkrankheiten, ohne die Fehler zu begehen, für die andere schon geprügelt wurden. BMW arbeitet jahrelang unter Hochdruck im geheimen Hinterzimmer, um diese Aufgabe zu meistern, Kawasaki ging einen vollkommen anderen Weg: Die Japaner schlossen Freundschaft mit Taiwan – oder anders: Kawasaki lässt seinen Scooter bei der Kwang Yang Motor Corporation, kurz Kymco bauen.

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Der Kymco Downtown 300 garantiert also dafür, dass der Kawasaki-Roller vom Marktstart weg problemlos funktioniert. Dieses Modell nahmen die Kawasaki-Ingenieure und klebten es auf das weiße Blatt Papier, das stets als Ausgangsbasis dient und mit dem sich alle anderen Hersteller immer rühmen – selbst bei Facelifts würde eine solche Aussage nicht mehr wundern.

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Doch zurück zum J300. Er ist nicht nur ein modifizierter Kymco, sondern wird auch in Taiwan, nach Anweisungen von Kawasaki gebaut. Auffälligste Änderung ist natürlich die aggressive Optik des J300, der, wie die Z- und ZR-Modelle mit finsterem Blick und scharf gezeichnetem Heck, auf bitterböse macht. Das ist er aber gar nicht. Kawasaki kommt beim Roller von der Einstellung ab, dass man eine starke Hand braucht, um eine Grüne zu bändigen.

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Das Fahrwerk ist erstaunlich komfortabel, die Sitzbank haben die Japaner gut gepolstert und dafür sogar auf Stauraum verzichtet. Und damit auch kleinere Menschen gemütlich mit den Füßen auf den Boden glangen, haben sie sogar Aussparungen links und rechts in die Trittbretter gesäbelt.

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Ein nettes Gimmick ist die Beleuchtung des Laderaums unter der Sitzpolsterung. Die schaltet sich nämlich nicht über einen herkömmlichen Schalter ein, wenn man die Bank hebt, und aus, wenn man die Bank senkt, sondern arbeitet über einen Bewegungssensor. Bankl offen lassen ist in der Garage also kein Problem für die Batterie – wenn man halt nicht zu viele Mäuse dort herumrennen hat, die dann erst wieder die Funzel angehen lassen.

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Echte Kawasaki-Werte demonstriert der J300 an der Ampel und gibt sich auch in seiner Klasse keine Blöße. 28 PS und 29 Newtonmeter reichen selbst für längere Distanzen auf der Autobahn – da würde man sich nur ein wenig mehr Windschutz wünschen.

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Aber ein großer Glasverbau überm Lenker wäre kein Designschlager. Eine 300er Vespa hat noch weniger Schutz, und da hat sich auch noch keiner beschwert. Im Rollersegment dürfte Aussehen wichtiger sein als Wetterschutz. Und Komfort wichtiger als Sportlichkeit – nur so lässt sich erklären, dass die sonst so knochenharten Kawasakis einen so kommoden Roller bauen. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 17.3.2014)

>>> Infos und technische Daten

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Kawasaki J300

Motor: 1 Zylinder-4-Takt-Motor
Hubraum: 299 ccm
Leistung: 20,3 kW (28 PS) bei 7.750 U/min
Drehmoment: 28,7 Nm bei 6.250 U/min
Kraftübertragung: Stufenl. Getriebe und Riemen
Radaufhängung vo: 37 mm Teleskop-Gabel
Radaufhängung hi: zwei Federbeine
Bremse vo: Scheiben, Ø 260 mm, 2-Kolben, ABS
Bremse hi: Scheiben, Ø 240 mm, 2-Kolben, ABS
Reifen vo: 120/80-14 M/C 58S
Reifen hi: 150/70-13 M/C 64S
Gewicht fahrfertig: 191 kg
Sitzhöhe: 775 mm
Preis: ab 5.550 Euro

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Kawasaki

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.

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