WU-Experte Sebastian Kummer: Österreichs Logistikbranche brauche einfachere Regelungen und gut ausgebildete Fachkräfte, um Qualitätsführerschaft zu erreichen.

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STANDARD: Welche Trends bestimmen das Logistikjahr 2014?

Kummer: Das Jahr hat mit starken Mauterhöhungen problematisch begonnen. Auch in Deutschland steht zur Jahresmitte eine Erhöhung an. Und in Österreich beabsichtigt die Regierung, externe Kosten wie Lärmschutz in die Maut miteinzubeziehen, wie es in der EU-Wegekostenrichtlinie vorgesehen ist. Das könnte zum Jahreswechsel 2014/15 eine weitere Kostensteigerung bringen. Ein zweites bestimmendes Thema ist der Wildwuchs von Fahrverbotsregelungen für Lkws. Die Anzahl der Vorschriften explodiert, was unnötige Kosten verursacht.

STANDARD: Wie wirkt sich die höhere Maut aus?

Kummer: Konsumenten merken das nur marginal. Kritischer sind die Auswirkungen auf den Industriestandort. Transportintensive Branchen wie die Holz- oder die Papierindustrie investieren nicht mehr in Österreich. Deshalb muss die Politik aufpassen, dass sie das Thema Maut nicht überstrapaziert. Wir haben natürlich noch den Vorteil niedrigerer Dieselkosten. Geschätzte 600 Millionen Euro Steuereinnahmen kommen durch Tanktourismus zustande.

STANDARD: 2014 bringt mit Euro 6 auch eine neue Abgasnorm.

Kummer: Der Verbesserungssprung ist dabei nicht mehr so groß wie bei den vorherigen Standards. Es scheint, dass wir mit der Euro-6-Norm das erreicht haben, was auf absehbare Zeit technisch möglich ist. Der europäische Gesetzgeber hat keine Initiativen für weitere Abgasnormen gesetzt.

STANDARD: Wie bewerten Sie die Forschritte bei grüner Logisitk?

Kummer: Der Trend wird weiter anhalten und betrifft alle Bereiche der Logistik. Es gibt Riesenpotenziale in innerbetrieblichen Bereichen wie den Lagerhäusern. Bisher hat man sie so billig wie möglich gebaut. Jetzt gibt es Unternehmer, die Lagerhäuser nach ökologischen Standards aus Holz bauen. Dadurch wird auch der Arbeitsplatz attraktiver. Für Kunden wird eine umweltfreundliche Logistik zunehmend zum Kriterium. Im Bereich der Transporte fallen die Interessen der grünen Logistik mit jenen der Ökonomie zusammen. Mehr Effizienz bedeutet geringere Kosten und geringere CO2-Emissionen. Bei Elektroantrieben wird die Politik mit leichtem Druck nachhelfen müssen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass in einigen Jahren Innenstadtbezirke für Pkws mit Verbrennungsmotoren gesperrt werden.

STANDARD: Die Debatte um eine autofreie Mariahilfer Straße beweist, dass das nicht einfach ist.

Kummer: Die Geschäfte haben bis jetzt immer profitiert, wenn eine Fußgängerzone geschaffen wurde. Wir wissen, dass in Innenstädten Fahrraddistribution interessant ist. Am Stadtrand könnte es Depots geben. Mein Traum für Wien wäre eine sogenannte Cargo-Tube. Das ist ein Konzept, in dem Waren über ein Tunnelsystem vom Logistikzentrum in die Innenstadt geliefert werden. Die Feindistribution erfolgt dann mit Elektroautos oder Fahrrädern. Schade, dass man bei der Mariahilfer Straße nicht auch solche Konzepte angedacht hat.

STANDARD: Wie verändert die Individualisierung der Warenströme durch den E-Commerce das Bild?

Kummer: Die Herausforderung ist in Ballungszentren groß. Es kommt zum starken Anstieg der Auslieferungsverkehre aufgrund der vielen kleinen Transporte. Meine Meinung ist, dass wir mittelfristig zwei Tendenzen in der City-Logistik sehen werden, die negative Auswirkungen eindämmen. Einerseits wird es mehr alternative Antriebe geben. Andererseits ist die Kooperation der Logistikunternehmen ein Thema. Auf der Mariahilfer Straße liefern DPD, Post, UBS, DHL und viele andere aus, ein Fahrzeug hinter dem anderen. Würde man das intelligent bündeln, könnte vieles erreicht werden, aber davon sind wir noch weit entfernt.

STANDARD: Es gibt Ansätze, auch Lebensmittel zuzustellen. Kann das in Österreich funktionieren?

Kummer: Da bin ich sehr skeptisch. Technisch kann man das machen. Die Margen sind in dem Bereich aber so gering, dass die zusätzlichen Kosten kaum zu decken sind. Ich sehe bisher auch wenig Bereitschaft der Konsumenten, mehr zu bezahlen. Ein Massenmarkt wird das nicht. Auch von ökologischer Seite ist zu hinterfragen, Bioprodukte gekühlt an die Haustür liefern zu lassen.

STANDARD: Wie verändern sich die Städte durch den Internethandel?

Kummer: Ich glaube, dass es eine größere Vielfalt geben wird. Es könnte Servicestellen in guten Lagen geben, die viele Funktionen erfüllen, vom Anprobieren der Kleidung über die Abholung bis zum Abgeben der Kleidung für die Wäscherei. Ich glaube nicht, dass Retourquoten von 40 Prozent zu Gewinnen führen. Hier müssen durch Servicecenter oder digitale Applikationen Lösungen gefunden werden. Als Gegenbewegung kann man Diskonter wie Primark sehen, die Lkws direkt aus den Werken in die Verkaufstellen schicken, wo alles sehr schnell abverkauft wird. Da steckt eine extrem effiziente Logistik dahinter.

STANDARD: Was erwartet die Branche demnächst im Bahnbereich?

Kummer: Die Rail Cargo Austria muss auf längeren Strecken, wo sie wettbewerbsfähig sein kann, versuchen, Marktanteile zu gewinnen. Auf kürzeren ist es nicht so dramatisch, wenn Transporte auf der Straße erfolgen. Wichtig ist, dass in Summe keine Rückverlagerung von der Schiene auf die Straße erfolgt. Ein Schwerpunkt müsste meiner Meinung nach der Hinterlandverkehr der Seehäfen sein. Besonders in Richtung der Adria-Häfen hat die Bahn nur geringe Anteile am Transportvolumen. Auch die Verlängerung der russischen Breitspurbahn von der Slowakei nach Wien steht an, hier wird es im Herbst wahrscheinlich Neuigkeiten geben. Eine Realisierung würde Ostösterreich als Standort aufwerten. Wir brauchen unbedingt mehr Initiativen, die Österreich als Industrie- und Logistikstandort attraktiver machen.

STANDARD: Nach der Ostöffnung hatte Österreich die Chance, zur Drehscheibe im Zentrum Europas zu werden. Hat es das geschafft?

Kummer: Positiv formuliert: Zumindest hat die Verlagerung nach Budapest nicht stattgefunden. Wir konnten in Ostösterreich den Logistikstandort verteidigen. Das Versäumnis ist, dass man sich zu sehr auf eine Anti-Lkw-Verkehrspolitik konzentriert hat. Die Hoffnung ist, dass wir vom reinen Transitverkehr wegkommen, hin zu Logistikzentren mit zusätzlicher Wertschöpfung bei Verpackung oder Montage. Ich arbeite an einem Ideenpapier mit, das im Herbst 2014 der Bundesregierung vorgelegt werden soll. Darin soll betont werden, dass wir gezielt an der Qualitätsführerschaft arbeiten müssen. Qualität bedeutet etwa einfache, klare Regelungen und gut ausgebildete Fachkräfte. (Alois Pumhösel,  DER STANDARD, 12.3.2014)