Kurt Weill (1900-1950).

Foto: Kurt Weill Fest
Foto: Kurt Weill Fest

Weill? Und Dessau? Was haben die beiden denn miteinander zu tun? Die Antwort ist ganz einfach: Kurt Weill wurde dort geboren. Man kann es der Kleinstadt in Sachsen-Anhalt gar nicht hoch genug anrechnen, diesem – trotz "Dreigroschenoper" – nicht populärsten aller Komponisten gleich nach der Wende ein eigenes Festival gewidmet zu haben. Eines, das nicht nur immer noch besteht, sondern seit seiner Gründung kontinuierlich weitergewachsen und (noch) internationaler geworden ist. Nachdem in den letzten drei Jahren Weills Schaffen in Berlin, Paris und New York näher beleuchtet wurde, stand diesmal sein Verhältnis zu den "neuen Medien" seiner Zeit im Mittelpunkt.

Foto: Kurt-Weill-Fest
Foto: KUrt Weill Fest

Programmatisch eröffnet wurde mit der selten gespielten Rundfunk-Kantate "Der Lindberghflug" auf einen Text von Bertolt Brecht. Bei der Uraufführung 1929 konnte das Publikum der Musik ganz konsequent nur über Lautsprecher lauschen, während die Musiker in einem separaten Studio agierten. So weit ging man in Dessau dann doch nicht. Man mag die futuristische Technikgläubigkeit der Epoche naturgemäß nicht mehr ganz nachvollziehen können, aber einige Stellen wie das "Liebesduett mit dem Motor" sind doch sehr speziell und für unsere heutigen Ohren sehr komisch: "hast du genug öl? meinst du, das benzin reicht dir aus? bist du kühl genug? geht es dir gut?" Ebenso wie Weills Verwendung von Geräuschen sehr kühn und zukunftsweisend war.

Da bei diesem Festival nicht nur Werke von Weill, sondern – thematisch verbunden – auch solche seiner Zeitgenossen präsentiert werden, kam nach der Pause auch Eduard Meisels Filmmusik zu Walter Ruttmanns Dokumentar-Epos "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt" zur Aufführung – bei gleichzeitiger Projektion des berühmten Streifens. Die "Artists in Residence", die Anhaltische Philharmonie Dessau und ihr Chefdirigent Antony Hermus, bewältigten diese schwierigen Aufgaben mit gleichbleibender Verve und Präzision.

Aufführung von "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt". (Foto: Kurt-Weill-Fest)
Foto: KUrt Weill Fest

Nicht minder beeindruckend auch eine andere "radiofone Kantate" des bewährten Duos Weill/Brecht: das "Berliner Requiem" mit ungewöhnlichen Männer-Terzetten, in diesem Fall dargeboten vom Orchester der Komischen Oper Berlin unter Johannes Kalitzke. Beide Veranstatungen fanden in dem den Nazis für Wagner-Opern errichteten riesigen Anhaltischen Theater statt.

Einen nicht geringen Reiz des Weill-Fests machen aber seine kleineren Nebenspielstätten aus: das Alte Theater, die Auferstehungskirche, die Marienkirche und natürlich die einzige wirkliche Touristenattraktion Dessaus, das wunderschön renovierte Bauhaus. In dessen legendärem, direkt neben der Kantine gelegenem Theaterchen, in dem zum Beispiel Oscar Schlemmer sein bahnbrechendes "Triadisches Ballett" entwickelt hat, präsentierte das Ensemble Modern ein äußerst intelligent ausgewähltes Programm zum heurigen Thema: John Cages "Radio Music", Karlheinz Stockhausens "Spiral für Kurzwellenempfänger" und Hindemiths "Drei Anekdoten für Radio".

Das Kornhaus. (Foto: Kurt-Weill-Fest)
Foto: KUrt Weill Fest

Im nicht minder schönen Kornhaus, einem im Bauhaus-Stil gehaltenen idyllischen Ausflugsrestaurant an den Ufern der Elbe, wurden anschließend die Hörgewohnheiten nicht minder in Frage gestellt – allerdings in umgekehrter Richtung. Denn beim nachmittäglichen "Tanztee mit Mackie Messer" erklangen zum ersten Mal die wiederaufgefundenen Bearbeitungen von sieben Stücken aus der "Dreigroschenoper" für Kaffeehausmusiker (Violine und Klavier), die Weill selbst hergestellt hat, um im Umlauf befindliche fremde, schlechte, vor allem aber auch tantiemenlose Arrangements zu konterkarieren. Das ist ungefähr so schräg wie "Tristan und Isolde" in der Version der Caffè-Quadri-Kapelle in Venedig, hat aber etwas.

Nächste Jahr lautet das Thema "Song und Lied". Denn – man höre und staune – auch "Winterreise"-Librettist Wilhelm Müller stammt aus Dessau. Es könnte wieder spannend werden 2015. (Robert Quitta, derStandard.at, 16.3.2014)