Es soll einen ehemaligen ÖVP-Obmann geben, der Freunden gestand, er habe bei den Wahlen im September 2013 die Neos gewählt - aus Verzweiflung und Wut über die Verengung der Partei. Jedenfalls kann man bei allerlei bürgerlichen Veranstaltungen jede Menge Leute erleben, die offen angeben, diesmal Neos gewählt zu haben.

Dennoch sind die Neos nicht die "bessere ÖVP", als die sie jetzt angesprochen werden. Dafür haben sie zu viele Wähler auch von den Grünen abgezogen. Die Neos sind am ehesten jüngere, moderne Bürgerliche - beruflich erfolgreich, gutverdienend, sehr oft selbstständig, gut bis sehr gut ausgebildet, gebildet, kulturell interessiert, gewohnt, sich im harten beruflichen Wettbewerb zu behaupten, in der privaten Lebensführung durchaus traditionellen Werten verpflichtet, aber nicht reaktionär verstockt. Das sind Leute, die den Wohlfahrtsstaat begrüßen, aber nicht dafür diffamiert werden möchten, dass sie es im Leben zu etwas bringen wollen.

Der neue ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel (Spindelegger-Mann, Verbindung "Norica") meint, die Neos wüssten "nicht einmal selbst, wo sie stehen". Mag sein, aber sie wissen, was sie nicht (mehr) wollen. Die ÖVP ist ihnen gesellschaftspolitisch zu verkalkt und wirtschaftspolitisch zu hilflos. Die SPÖ ist ihnen zu kleinkariert-funktionärsbestimmt (geworden), die FPÖ kommt für sie meist nicht infrage, die Grünen haben ihre Hoffnungen enttäuscht. Sie teilen mit den Grünen gewisse Werte - für Umwelt, gegen Korruption -, sind aber von deren retrolinken Ideen befremdet. Sie arbeiten unter (oft internationalen) Wettbewerbsbedingungen, tragen den Großteil der Steuer- und Abgabenlast und gehören nicht zu einer privilegierten Klientelgruppe. Und sie haben das Gefühl, dass sich um sie genau niemand kümmert.

Ein soziologisches Miniporträt: Barbara Unterkofler, die Spitzenkandidatin der Neos bei den Salzburger Gemeinderatswahlen (auf Anhieb 12,4 Prozent in Salzburg-Stadt) ist 39, Juristin, verheiratet, hat drei kleine Kinder. Das Foto auf der Website zeigt sie im Dirndl. Darunter stehen die renommierten New Yorker und Londoner Rechtsanwaltskanzleien, bei denen sie gearbeitet hat. Sie leitete den Salzburger Zweig der PR-Agentur Pleon Publico und ist Vorsitzende der Freunde der Salzburger Festspiele "Next Generation".

Die Motivation der meisten Neos-Aktivisten und -Wähler ist tiefer Frust mit einem Hochsteuerstaat, der seine Ressourcen an organisierte Interessengruppen verteilt, die aber keine ordentliche Performance zeigen. Mit einer Führungsschicht, die Abermilliarden bei der Nichtbewältigung von Bankpleiten und Hochrisikospekulationen durch biedere Lokalkräfte verpulvert, aber keinen Zentimeter von ihrem überdimensionierten Einfluss abgeben will.

Die Neos-Bewegung kann natürlich schiefgehen. Erste Erfolge machen übermütig, echte Substanz - und Kompetenz - muss sich erst zeigen. Aber die Existenz der Neos beweist, dass es in diesem Land eine tief unzufriedene Mittelschicht gibt, die aber nicht nach ganz rechts abrutschen will. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 12.3.2014)