Einige Logistik-Unternehmen haben längst begonnen, mit Lastenrädern zu experimentieren. Andere könnte nachziehen.

Foto: cyclelogistics

Fast jede zweite Fahrt in der Stadt ist ein Gütertransport. Zu gut einem Drittel handelt es sich um leichte Frachten.

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Güter mit dem Fahrrad durch die Stadt zu transportieren ist kein neues Phänomen. Vor etwa 50 Jahren hielt der motorisierte Lieferverkehr Einzug in europäische Städte - davor hatten sich mehrere Generationen auf ihre Fahrradanhänger verlassen und Möbel, Werkzeug, Speisen, Heizmaterial, Briefe und Pakete auf dem Rad von A nach B gebracht. Heute übernehmen motorisierte Fahrzeuge wie Klein-Lkws die meisten Lieferungen. Sie pendeln zwischen den meist an der Peripherie angesiedelten Depots und den Stadtzentren. Den Großteil der Fracht machen kleine Gegenstände unter zehn Kilogramm aus.

Für die Lieferung von Bestellware aus dem Versandhaus werden häufig Motoren in Gang gesetzt. Dieses oft sehr ineffiziente System wurde in den vergangenen Jahrzehnten kaum hinterfragt - bis heute. Nun kommt das Lastenfahrrad als innerstädtisches Verkehrsmittel für den Warentransport wieder ins Gespräch und in Mode.

"Die Tendenz geht immer mehr dahin, dass man den öffentlichen Raum genießen will", erläutert Karl Reiter von der Forschungsgesellschaft Mobilität (FGM) in Graz.

Verkehr durch Onlinehandel

Je stärker dieser Trend, desto offensichtlicher die Störfaktoren beim Genießen. "Der Liefer- und Lkw-Verkehr in den Innenstädten beeinträchtigt die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum", sagt Reiter. Und der Verkehr steige drastisch - nicht zuletzt durch den zunehmenden Onlinehandel. Darüber hinaus legen Kundinnen und Kunden immer mehr Wert auf eine Zustellung, die mög-lichst wenig CO2 freisetzt. Das hat jüngst erst die Studie "Delivery Tomorrow" des weltweit führenden Logistikunternehmens DHL gezeigt.

Es kann also nicht verwundern, dass schon seit geraumer Zeit internationale Logistikunternehmen mit Lastenrädern experimentieren. Für DHL sind in Wien derzeit zwei Räder unterwegs, in Innsbruck ist es eines. Supermärkte wie Merkur am Hohen Markt in Wien oder Spar in Salzburg loten derzeit aus, inwiefern sich Cargo-Bikes für den Lieferservice eignen.

25 Start-up-Unternehmen

Dienen all diese Maßnahmen dem Greenwashing? Wollen sich Unternehmen damit also lediglich ein umweltfreundliches Image verleihen? Oder steckt dahinter ein ernstgemeinter und nachhaltiger Umdenkprozess? Das EU-Projekt Cyclelogistics hat sich in den letzten drei Jahren dem Cargo Bike als Verkehrsmittel für den innerstädtischen Güterverkehr gewidmet. Seine Ergebnisse sprechen dafür, dass es um mehr als Imagekosmetik geht.

In acht europäischen Städten wurden mehr als 200 Fahrräder für Lieferverkehr und Dienstleistungen in Betrieb genommen. 25 Start-up-Unternehmen mit dem Geschäftsfeld Fahrradlogistik wurden gegründet. Und in sieben europäischen Städten, darunter Graz, können sich Wirtschaftstreibende in sogenannten Living Laboratories Lastentransporträder ausleihen und testen.

Raus aus der Nische

Dass der zumindest teilweise Umstieg vom Lkw auf das Transportfahrrad künftig kein unrealistisches Szenario sein wird, zeigt die Cyclelogistics-Baseline-Study: 44 bis 45 Prozent aller Fahrten in der Stadt sind heute Gütertransporte. Zu gut einem Drittel handelt es sich auch hier um leichte Güter, die auch mit dem Rad transportiert werden könnten. Dass es an der Logistik nicht scheitert, zeigen Städte wie Cambridge oder London, in denen große, auf städtischen Umschlagplätzen stationierte Lastenräder als Verteiler dienen; ausgeliefert wird mit kleineren Rädern. "Der einstigen Nischenidee wird ein großes Potenzial für die innerstädtische Logistik attestiert", sagt Reiter, der auch das EU-Projekt koordiniert.

In erster Linie geht es dabei um pragmatische Überlegungen: "Mit dem Fahrrad muss man sich nicht an zeitliche Lieferfenster in den Städten halten", sagt Reiter. "Ein Lastenrad braucht kaum Platz, macht keinen Lärm und ist effizient, weil die Fahrzeit kalkulierbar ist", weiß auch Martin Blum, Radverkehrsbeauftragter der Stadt Wien. Wenn der Lieferant nicht im Stau stehen müsse, ließen sich Lohnkosten sparen.

Elektroantrieb unabdingbar

Dieses Einsparungspotenzial ist in der Berechnung des Fahrradherstellers Gobax noch gar nicht enthalten. Gobax betreibt eine Kooperation mit dem deutschen Lastenradlieferanten Joey's Pizza. Ein Vergleich von Einführungskosten, Wartung, Verschleiß von Teilen, Energieverbrauch, Abschreibungen und Versicherung zwischen dem Auto und dem G1-Fahrradmodell für die Pizzazustellung ergab: Die Gesamtkosten eines Autos liegen bei 7300 Euro, jene des Cargo-Rades bei etwa 1000 Euro pro Jahr.

"Mit dem Rad fährt man immer billiger", wissen auch Florian Weber und Wolfgang Höfler, Gründer von Heavy Pedals, Wiens erstem und bislang einzigem Lastenradbotendienst. Selten überstiegen die Lasten 60 Kilogramm an Gewicht, und auch die Distanzen hielten sich in Grenzen. "Das ist locker mit Muskelkraft machbar", sagen die beiden. Bei Neuzugängen im Fuhrpark ist der Elektroantrieb allerdings unabdingbar: Das Cargo-Rad mit Antrieb kann bis zu 250 Kilogramm und maximal eine Europalette Volumen transportieren.

Während Transportlogistik für Unternehmen selbstverständlich ist, sei dies Reiter zufolge im privaten Bereich meist nicht der Fall. Dabei liegt in der privaten Logistik das größte Potenzial für den Einsatz des Fahrrades: Acht von zehn Einkäufen von Gütern des täglichen Bedarfs fänden in einem größeren Fahrradkorb Platz, wie eine Erhebung des österreichischen Vereins Argus besagt, der sich die Förde-rung nichtmotorisierten Verkehrs zum Ziel gesetzt hat. Die für die Einkäufe zurückgelegten Strecken sind zum überwiegenden Teil kürzer als eineinhalb Kilometer.

Graz fährt vor

In manchen Städten gehören auf Rädern transportierte Waren längst zum Stadtbild. So ist etwa das Botendienstunternehmen Outspoken delivery in Cambridge mit neun Angestellten, mehr als 100 fixen Kunden und gut 19.000 geradelten Kilometern pro Jahr das größte seiner Art in Großbritannien. In der Schweiz stellt der Velo-Hauslieferdienst (VHLD) in 21 Städten Waren zu. Die Anzahl der jährlichen Lieferungen hat sich seit der Gründung im Jahr 1998 von 4100 auf knapp 30.000 erhöht.

Dass auch die Kommunalpolitik mit gutem Beispiel vorangehen kann, zeigt Graz, wo seit einiger Zeit drei Lastenräder für die innerstädtische Straßenwartung im Einsatz sind. Auch in Wien prägen kommunale Lastenräder das Stadtbild. Laut dem Fahrradbeauftragten Martin Blum wird im Rahmen eines neuen Stadtentwicklungskonzepts über weitere Einsatzmöglichkeiten diskutiert. Blum sieht in Österreich Potenzial für einen Ausbau der Radlogistik - "das geht aber nicht von heute auf morgen."

Förderungen hilfreich

Das Cargo-Rad müsse für Unternehmen attraktiv und sein Nutzen erkennbar sein. Motivation könne vor allem über Förderungen für Unternehmen kommen, z. B. über klima aktiv mobil oder die Wirtschaftsagentur Wien. Diese beziehen sich derzeit allerdings vor allem auf elektrobetriebene Lieferfahrzeuge und stufen nicht nach der Nutzlast ein. "Damit kann man keinen Betrieb motivieren", sagen Weber und Höfler von Heavy Pedals. Eine Zunahme an Cargo-Rädern sehen sie jedenfalls als Bereicherung - obwohl sie von der Konkurrenz kommen: "Je mehr Räder in der Stadt präsent sind, desto mehr Menschen kommen auf die Idee, selbst Rad zu fahren. Das ist eine gute Werbung." (Eva Tinsobin, DER STANDARD, 12.3.2014)