Haben abgewirtschaftet: Wotan (Jürgen Linn) und Lieblingstochter Brünnhilde (Rebecca Teem, vorne), mit den Schauspielern Sebastian Rudolph, Katharina Lorenz und Philipp Hauß (v. li).

Foto: Arno Declair

An einen Artikel für ein Programmheft hatte man gedacht, als die Bayerische Staatsoper Elfriede Jelinek 2012 bat, einen Beitrag zu Richard Wagners Ring des Nibelungen zu verfassen. Doch wie zu erwarten, geriet ihr "Bühnenessay" Rein Gold um ein Vielfaches zu lang dafür und wurde daher zunächst in einer sechsstündigen "Urlesung" im Münchner Prinzregententheater präsentiert, ehe es nun als "Musiktheater" in der von der Berliner Staatsoper im Schillertheater vorgeführt wird: wohl der luxuriöseste Aufwand, der je an einer staatlichen Bühne mit einem Programmheftartikel gemacht wurde.

Für die fast hundertköpfige Staatskapelle Berlin hatte man auf der Bühne ein verschiebbares Podest gebaut, das zum Publikum heran- und wieder weggezogen werden konnte, fünf gestandene Wagnersänger eingesetzt, einen Pianisten und drei Perkussionskünstler engagiert, vor allem auch einen modularen Synthesizer eingesetzt, einen altertümlichen Musikcomputer, den man mit Motiven von Richard Wagner fütterte.

Im Kontrast zu solch bombastischem Aufwand stand die kabarettistische Conférence, mit der drei Schauspieler (Katharina Lorenz, Philipp Hauß und Sebastian Rudolph), bisweilen sitzend und in der Regel mit dem Manuskript in der Hand, sich Jelineks Text erst im Spiel anzueignen schienen: ein von Nicolas Stemann im Jelinek-Fall oft angewandtes Verfahren.

Die Bühne von Katrin Nottrodt: eine Baustelle mit Betonmischmaschine, so wie es gerade im Haupthaus der Berliner Staatsoper Unter den Linden, das schon seit Jahren renoviert wird, gegenwärtig auch aussehen mag. Hin und wieder wechselt das Schauspielerterzett die Rollen, denn Jelineks "Bühnenessay" versteht sich als Dialog zwischen Wotan und seiner Lieblingstochter Brünnhilde. Ihre Feststellung zu Beginn - "Also Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie" - kehrt als Textschleife immer wieder. Dem launigen Schauspieltrio gelingt sogar Mitmachtheater, fast das gesamte Opernpublikum kann es zum "Aufstehen!" animieren, und dieses gleich "wieder setzen" lassen: "widersetzen", Widerstand leisten.

Lustvoll schwadronieren

Solch müde Kalauer schwingen sich immer wieder zu anspruchsvollen ökonomische Theorien auf und umgekehrt, wenn über Geld und Schuld-Sein, wenn über Untergang und Widerstand, über die Möglichkeiten von Helden heute, von Revolution und Weltuntergang lustvoll schwadroniert wird. Frei zirkulierendes Geld, das nicht nur den Menschen, sondern auch die Ware nicht mehr braucht, wird mit den Wagner'schen Untergangsfantasien kurzgeschlossen. Jelinek und das Ensemble, das zur Vorbereitung Experten für Finanzkapitalismus und Marxismus heranzog, sind jedenfalls auf der Höhe der aktuellen Diskussionen, reden aber auch, viele Opernbesucher damit überfordernd, bei TV-Shows und der NSU-Terrorzelle mit.

Ein Wohnmobil wie jenes, in dem die beiden Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt Selbstmord begangen hatten, wird von Wotan gelenkt, und Paulchen Panther, den sie als Erkennungszeichen benutzt haben, tanzt mit Wagners Figuren.

Rein Gold als Musiktheater reiht sich in die Reihe von Jelineks Sekundärdramen FaustIn & Out und Abraumhalde (nach Lessings Nathan der Weise) ein, die die Primärtexte nicht aktualisieren, sondern sich an verschiedenen Punkten in die Vorlage hineinquetschen. Die Aufführung des Primärwerks macht Jelinek dabei zur Bedingung. Und sie dürfte, da sie sich, wie sie erklärt, gerne in Wagners Musik wie ein "Schwein in der Suhle lustvoll suhlt", an Marcus Poschner Orchestereinsätzen ihre Freude gehabt haben, auch an Jürgen Linn als Wotan und Rebecca Teem als Brünnhilde.

Duett mit Brünnhilde

Eine Überlappung von Schauspielern und Sängern findet selten statt, nur einmal bemüht sich Sebastian Rudolph ziemlich verzweifelt, im Duett mit Brünnhilde auch als Sänger mitzuhalten. Die Rheintöchter (Narine Yeghiyan, Katharina Kammerloher und Annika Schlicht) hingegen brillieren im Showbusiness.

Erlösung, dennoch! Wenn ein Vorhang das Orchester verdeckt, schaltet ein Kind eine alte Wagner-Aufnahme an. Der Unmut im Publikum hielt sich in Grenzen, nur wenige Zuschauer verließen den Saal, der Applaus war im Gegenteil vor allem für die Musiker durchaus lebhaft. Vielleicht hätte man an Wagner und der Computer-Wagner-Verzerrung einerseits und an einer Lesung von Jelineks Texten andererseits mehr Vergnügen empfunden, wären die beiden Teile getrennt. Das bombastische Musiktheater Rein Gold war nicht mehr als ein Appetitanreger. (Bernhard Doppler, DER STANDARD, 11.3.2014)