Porträtserie "made by" Beltracchi: (links, von oben nach unten) Molzahn "Oskar Schlemmer", Picasso "Wolfgang Beltracchi", Laurencin "Alfred Flechtheim", Kisling "Kiki de Montparnasse", Meidner "Selbstporträt"; (rechts, von oben nach unten) van Dongen "Akt mit Hut", Survage "Guillaume Apollinaire", Marcoussis "Guillaume Apollinaire", Marcoussis "Alfred Flechtheim", Friesz "Georges Braque".

Foto: Repro / Beltracchi "Selbstporträt" Rowohlt-Verlag

Im September 2010 deckten deutsche Medien die heimtückischen Zutaten des größten Fälschungsskandals in der Geschichte des Kunstmarktes auf: eine fingierte Provenienz ("Sammlung Jägers") und eine damals noch überschaubare Anzahl von Plagiaten, die sich in der Qualität deutlich von plumpen Kopien unterschieden. Auf einem der Werke (Campendonk, Rotes Bild mit Pferden, 1914) fand man bei einer Analyse ein Farbpigment, das zum angeblichen Entstehungszeitpunkt noch nicht existierte.

Gute zwölf Monate später standen Wolfgang Beltracchi und seine Ehefrau Helene vor Gericht. Das Urteil war überaus milde. Verhandelt hatte man nur 14 Fälschungen, und verurteilt wurden sie zu sechs bzw. vier Jahren Haft. Ein genialer Deal, denn der offene Vollzug sah nur die Übernachtung im Gefängnis vor. Dazu gab es Freigang, etwa für Dreharbeiten (u. a. Südfrankreich) für den soeben angelaufenen Dokumentarfilm Die Kunst der Fälschung unter der Regie Arne Birkenstocks, des Sohns des Beltracchi-Anwalts.

Hofiert als Bonnie und Clyde

Teile der Einnahmen, auch der jüngst publizierten Biografie, fließen in die Insolvenzmasse, aus der Gläubiger abgefunden werden. Das beschränke sich nur auf Deutschland, Verdienste aus Bilderverkäufen im Ausland, bekannte Beltracchi jetzt in einem Interview, fallen nicht darunter.

Seit Wochen tingelt das von Moderatoren als Bonnie und Clyde des Kunstmarktes hofierte Duo durch Talkshows. Hat man eine gesehen, kennt man alle. Kritische Fragen? Fehlanzeige. Stattdessen rollen Lanz & Co der Selbstgefälligkeit des Jahrhundertfälschers den roten Teppich aus. Hach, was haben wir die namhaften Experten und Protagonisten des Kunstmarktes nicht an der Nase herumgeführt und damit die Schwachstellen des Marktes offengelegt, so der Tenor. Fehlt nur noch das Schulterklopfen. Herrje, es handelt sich um Kriminelle, die mit ihrem Betrug Millionen verdienten, möchte man jenen entgegenplärren, die Beltracchi als "Künstler" bezeichnen. Weil er Lücken im OEuvre großer Meister mit Bildern füllte, die theoretisch hätten gemalt werden können. Für die Geschädigten muss das schier unerträglich sein. Und deren gibt es deutlich mehr, als je bekannt werden wird.

Die oft unwissentlich involvierten namhaften Experten, Kunsthändler und Auktionshäuser dürften aus Imagegründen kein Interesse an einer vollständigen Aufklärung haben. Beltracchi nennt einige namentlich in seiner Biografie, die Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder als "Automythologie" bezeichnete, die für Psychologen ergiebiger sei als für Kunsthistoriker.

Lagerung im Plumpsklo

Unterhaltsame Anekdoten in der Kategorie "Breughel-Pizza", wenn ein Werk des Niederländers zur künstlichen Alterung in den Trockenofen musste, oder die Lagerung der Werke im Plumpsklo dürfen dabei nicht von den Fakten ablenken. Quält man sich durch das 600-seitige Epos, zeigt sich, wie raffiniert und bewusst der Betrug erfolgte und in einem viel breiteren Ausmaß, als in den Medien je Thema war.

Mit 300 beziffert er die Zahl seiner als "im Stile von" (rd. 100 Künstlern) titulierten Fälschungen. Alles andere müsste man ihm erst nachweisen. Das war auch der Grund, warum vor Gericht nur 14 Gemälde verhandelt wurden, nicht 55, auf die Ermittler zu diesem Zeitpunkt gestoßen waren.

Die Bandbreite ist überraschend und reicht von Alten Meistern über alle stilistischen Facetten der Klassischen Moderne bis zu Joseph Beuys. Gemeinsam mit einem Beuys-Schüler schuf Beltracchi Mitte der 1980er-Jahre eine Serie von Objekten, die er mit dem Hauptstromstempel markierte. Die Installation eines niederrheinischen Museums hatte dafür einige Zeit ohne den Stempel auskommen müssen. Danach legte er ihn unbemerkt zurück. Über einen Händler "ging der ganze Krempel nach New York".

Der Verbleib dieser "Unikate" ist bislang unbekannt. Denn das tatsächliche Ausmaß des Beltracchi-Betruges wurde nie untersucht. Genau genommen ist das der eigentliche Skandal. (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 8./9.3.2014)