Für einen österreichischen Nachwuchskicker hat Marcel Büchel keinen gewöhnlichen Karriereweg bestritten. Bereits die entscheidenden Jahre seiner fußballerischen Ausbildung absolvierte Büchel im Ausland beim schweizerischen Klub FC St. Gallen, ehe er mit 18 Jahren seine Heimatstadt Feldkirch in Vorarlberg dauerhaft verließ. 2009 wechselte der mittlerweile 22-Jährige nach Italien zum AC Siena.
Büchel, den sie in Italien "Buchel" nennen, spricht fließend Italienisch und hat den Schritt in die Fremde nie bereut. Sportlich kämpft Büchel seit bald fünf Jahren um seine Chance in der Serie A – bisher vergeblich und meist knapp unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Heimat. Drei Leihengagements stehen für Büchels Zeit bei Siena zu Buche, zum Einsatz kam er nur in Liga zwei und drei. Die mediale Funkstille diesseits der Alpen durchbrach in dieser Zeit vor allem eine einjährige Leihe zu Juventus Turin. Im vergangenen Sommer ließ der Mittelfeldspieler dann wiederum kurz aufhorchen, als er einen Vierjahresvertrag bei Juve unterzeichnete. Der Rekordmeister hatte sich in italienischer Manier 50 Prozent seiner Transferrechte gesichert. "50 Prozent Siena, 50 Juventus", sagt Büchel, "das Entscheidungsrecht hat aber Juve."
Für diese Saison hat Juventus den Österreicher auf Leihbasis zu Virtus Lanciano in die Serie B geschickt. Der Klub rangiert nach 27 Runden auf Rang drei, mit nur sechs Punkten Rückstand auf Primus US Palermo. Büchel ist eine fixe Größe im Team und bespielt als ballgewandter Linksfuß die zentrale Mittelfeldposition.
derStandard.at: Sie sind 2009 mit erst 18 Jahren zum AC Siena nach Italien gewechselt. Wieso dieser frühe Schritt ins Ausland?
Büchel: Als ich 13 Jahre alt war, wurde ich von Andreas Herzog in die österreichische Auswahl für ein internationales Turnier in Paris nominiert. Dort ist ein Scout des AS Rom auf mich aufmerksam geworden. Aber da war es noch zu früh für einen Wechsel nach Italien. Der Kontakt ist jedoch nie abgerissen, die Italiener waren immer an mir interessiert. Italien war auch schon mein Lieblingsland, als ich noch ein Kind war. Mit zunehmendem Alter wurde ein Wechsel nach Italien für mich immer interessanter. Der Verantwortliche, der mich in Paris entdeckt hatte, war mittlerweile nach Siena gewechselt und hat mich dann 2009 dorthin geholt
derStandard.at: Führen Sie jetzt in als Leihspieler von Juventus Turin bei Virtus Lanciano ein Leben, wie Sie es sich als Kind erträumt haben? Als Profifußballer in einer italienischen Kleinstadt, die nur eine knappe halbe Stunde Autofahrt vom Adria-Strand entfernt ist?
Büchel: Mein Traum ist es, den Schritt in eine erste Liga zu schaffen, sei es die italienische Serie A, die englische Premier League oder die deutsche Bundesliga. Aber das ist nicht so einfach, oft muss man einen Schritt zurück machen, um vorwärts zu kommen. Die Serie B in Italien ist eine sehr harte Liga, sie wird intensiv verfolgt, jedes Spiel wird live übertragen. Wir haben bei Lanciano bisher eine super Saison gespielt, sind an der Spitze dran. Ich glaube, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Vor Augen habe ich immer noch das gleiche Ziel, das ich schon als kleines Kind hatte: die höchste Liga.
derStandard.at: Sie waren Ihrem ersten Einsatz in der Serie A schon einmal näher. Als Sie von Siena im Juli 2010 an Juventus Turin verliehen wurden, hat Ihnen Juve fünf bis zehn Einsätze in der Serie A neben den Einsätzen in der Primavera, der höchsten italienische Jugendliga, zugesichert. Dachten Sie damals, das Ziel wäre bereits erreicht?
Büchel: Wenn man bei so einem großen Verein ist, denkt man schnell, dass man am Ziel angekommen ist – das ist logisch. Aber ich dachte realistisch: Bei Juve schaffen es nur wenige direkt vom Nachwuchs in die erste Mannschaft. Ich wusste, dass ich den Verein mit hoher Sicherheit wieder verlassen müsste, zumindest auf Leihbasis. Für Einsätze in der Serie A hat es damals leider nicht gereicht, aber ich hatte zwei Einsätze in der Europa League, auf die ich sehr stolz war. Das Jahr bei Juve war für mich ein Ansporn darauf hin zu arbeiten, wieder nach Turin oder einem anderen Top-Klub zu wechseln.
derStandard.at: Im Sommer 2013 hat Juventus Turin dann 50 Prozent Ihrer Transferrechte erworben und Sie sind mit der Kampfmannschaft in die USA ins Trainingslager geflogen. Wie groß war Ihre Hoffnung, es im zweiten Anlauf bei Juve zu packen?
Büchel: Die Hoffnung war schon groß, dieses Mal da bleiben zu können. Aber seit zwei Jahren ist Juve wieder richtig stark und der Cheftrainer Antonio Conte hat gesagt, dass es besser für mich ist, woanders Spielpraxis zu sammeln, denn meine Position ist mit Paul Pogba, Claudio Marchisio und Arturo Vidal sehr gut besetzt.
derStandard.at: Danach haben Sie Ende August noch ein Probetraining beim deutschen Zweitligisten 1860 München absolviert. Wäre das eine Option für Sie gewesen?
Büchel: Es war schon so gut wie fix, dass ich für ein Jahr als Leihspieler nach München gehe. 1860 wollte mich unbedingt. Mit Juve war auch schon alles geregelt. Der Transfer ist aber aus finanziellen Gründen gescheitert, Juve hat sich mit 1860 nicht einigen können.
derStandard.at: Sie wurden schließlich noch an Virtus Lanciano verliehen. Erst bei Juve nicht durchgesetzt, dann der gescheiterte Transfer zu 1860 – konnten Sie sich für Ihre dritte unterklassige Station in Italien überhaupt motivieren?
Büchel: Die Serie B ist vom sportlichen Niveau genauso stark wie die 2. Bundesliga in Deutschland, auch wenn sie vielleicht vom Publikum und den Stadien her nicht so spannend ist. Wenn ich in so einer Liga regelmäßig spielen kann, ist das sehr gut. München oder Lanciano – das macht keinen Unterschied.
derStandard.at: Ihr aktueller Klub hat insgesamt gleich zehn Spieler ausgeliehen.
Büchel: Lanciano ist ein Klub, der von der Leihe lebt. Sie holen jedes Jahr junge Spieler von den großen Vereinen und geben ihnen Spielpraxis. Der Verein hat nicht viele eigene Talente, und sein Budget ist auch nicht so groß. Wenn es gut läuft, kann Lanciano ein super Sprungbrett sein.
derStandard.at: Kann trotz dieser hohen Fluktuation ein Teamgeist entstehen?
Büchel: Es ist nicht wie in einem Verein, wo die Spieler seit fünf Jahren zusammen sind, das kann man sicher nicht vergleichen. Es ist extrem schwierig, ein super Feeling zu schaffen, wenn man nur für ein Jahr zusammen ist. Aber wir schaffen das ziemlich gut. Unser Ziel war am Anfang der Klassenerhalt, den haben wir jetzt faktisch schon erreicht. Man setzt sich immer ein Ziel nach dem anderen. Auch für Spieler, die schon länger hier sind, ist es ein Erfolg, ins Aufstiegs-Playoff zu kommen, da entwickelt sich der Teamspirit schon.
derStandard.at: Lanciano ist bereits Ihr fünfter Klub in Italien. Wie ist es für Sie persönlich, in so jungen Jahren immer wieder Wohn- und Arbeitsort zu wechseln?
Büchel: Mir macht es Spaß. Italien ist ein Traumland, es gefällt mir hier sehr gut. Vom Lebensstil und der Mentalität her bin ich schon ein halber Italiener. Ich bin gerne in Italien und habe hier viele Freunde. Natürlich ist es besser, wenn man fünf Jahre bei nur einem Verein spielt, aber das kann man sich nicht aussuchen. Es ist auch interessant, jedes Jahr neue Leute und ein neues Ambiente kennenzulernen.
derStandard.at: Sie haben in der U19-Auswahl dreimal das österreichische Trikot getragen. Als bald 23-Jähriger kämen Sie jetzt nur noch für Marcel Kollers Auswahl in Frage. Ist das Thema österreichische Nationalmannschaft für Sie abgehakt?
Büchel: Ich hoffe schon, dass es irgendwann wieder einmal Thema wird. Für mich als Österreicher ist es eine Ehre, für das Nationalteam zu spielen. Ich kann nur meine Leistung bringen und wenn die stimmt, dann liegt es an den Österreichern.
derStandard.at: Sie sind bald fünf Jahre in Italien und könnten auch die italienische Staatsbürgerschaft anstreben.
Büchel: Auf keinen Fall. Ich bin Österreicher, auch im Herzen, so etwas würde ich nicht machen. Aber es ist lustig: Die Italiener kriegen auch mit, dass ich in Österreich kein Thema bin. Ich habe schon einen Anruf vom U21-Nationaltrainer Italiens bekommen. Er hat mich gefragt, ob vielleicht mein Vater Italiener ist. (Jörn Wenge, derStandard.at, 6.3.2014)