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Die Mindestsicherung kann für Betroffene mitunter zum Hürdenlauf werden.

Foto: reuters/IAN WALDIE

Wien - Julian Kriegl* ist ratlos. Seine Familie kann es sich nicht mehr leisten, ihn weiter finanziell zu unterstützen. Die Hoffnung, vorübergehend für drei bis sechs Monate Mindestsicherung beziehen zu können, wurde aber rasch zerstört. Aufgrund seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit sei er nicht dazu berechtigt, diese Sozialleistung zu beziehen, teilte ihm das Sozialamt in Wien mit.

Bei Selbstständigen gehe man "grundsätzlich" davon aus, dass der Lebensunterhalt "gesichert ist", hieß es im Bescheid des Magistrats. Die Mindestsicherung - für Alleinstehende liegt sie derzeit bei maximal 813,99 Euro, bei Paaren sind es 1.220,99 Euro - sei nicht dazu da, schwankende Erträge auszugleichen, lautete die Argumentation.

"Keine spezielle Zielgruppe"

Allerdings: Weder im Bundes- noch im Wiener Landesgesetz zur Mindestsicherung findet sich ein Hinweis auf den generellen Ausschluss von Selbstständigen. Das Sozialministerium hat bereits mehrfach in parlamentarischen Anfragen klargestellt, die Mindestsicherung sei als "allgemeines System" zur sozialen Absicherung zu verstehen, nenne "keine speziellen Zielgruppen" und stelle daher generell darauf ab, "Personen in finanziellen Notlagen zu unterstützen".

Auf Anfrage von derStandard.at wird im Ministerium aber auch betont, dass die Mindestsicherung nicht das unternehmerische Risiko kompensieren könne und solle. "Die Behörde muss im Einzelfall prüfen, ob eine Notlage vorliegt", erklärt eine Sprecherin. Generell sei ein aufrechtes Gewerbe jedenfalls "kein Widerspruch" zur Mindestsicherung.

Ähnlich stellt die Rechtslage ein Sprecher der MA 40 dar: "Anspruch auf Mindestsicherung besteht nicht nur während einer Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit." Im Bescheid der MA 40 an Julian Kriegl liest sich das freilich anders: Die selbstständige Tätigkeit sei "stillzulegen", bevor ein Anspruch erworben werden könne, heißt es dort unmissverständlich.

Schwierige Prüfung

Der Einzelfall zeigt, wie schwierig die Auslegung der Gesetze im Detail ist. Naturgemäß ist es bei Selbstständigen nicht so einfach festzustellen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Bei Arbeitern und Angestellten ist am Lohn- oder Gehaltszettel zu sehen, ob jemand weniger als die Mindestsicherung verdient und somit die Differenz beantragen kann (man spricht von "Aufstockern"). Selbstständige machen ihre Steuererklärung frühestens im Folgejahr, es fehlt also im aktuellen Jahr ein Richtwert, um wie viel aufgestockt werden könnte.

Betont wird in der MA 40 auch, dass die Bezieher von Mindestsicherung "zum Einsatz der Arbeitskraft und zur Mitwirkung an arbeitsintegrativen Maßnahmen verpflichtet" seien. Allerdings: Im Fall von Julian Kriegl wurde von der Behörde gar nicht gefragt, ob das möglich wäre. Und wie erwähnt: Aufstocker können die Mindestsicherung auch dann beziehen, wenn sie nicht vom AMS vermittelt werden.

Dazu kommt: Die Behörden verfügen über einen relativ großen Ermessensspielraum. Die Armutskonferenz hat bereits wiederholt den Vollzug der Gesetze durch die Bundesländer kritisiert, zuletzt schloss sich die Volksanwaltschaft an, die bemängelt, nicht alle Anspruchsberechtigten würden tatsächlich zu ihren Rechten kommen.

Schlechte Datenlage

In der Wirtschaftskammer beklagt man ebenfalls, dass der Spielraum in aller Regel gegen die Betroffenen ausgelegt werde. Zumindest in der ersten Instanz. Beeinspruche man die Bescheide, bekomme man in manchen Fällen durchaus recht. Konkrete Zahlen, wie viele Selbstständige Mindestsicherung beziehen, gibt es nicht. Die Datenlage ist bei diesem Thema generell schlecht. Eine Orientierung liefert aber eine 2012 im Auftrag des Sozialministeriums durchgeführte Analyse der L&R Sozialforschung, in die Daten der Länder sowie Befragungen von Betroffenen eingeflossen sind. Damals lag der Anteil der selbstständig Beschäftigten bei lediglich 0,2 Prozent aller Mindestsicherungsbezieher.

Bekannt ist das Problem jedenfalls allen involvierten Stellen. Eine Arbeitsgruppe, in der Bund, Länder und Interessenvertreter Ende 2012 ein erstes Resümee über die Mindestsicherung zogen, kam zu dem klaren Schluss: "Es gibt Personengruppen, für deren Existenzsicherung sich die BMS-Systeme der meisten Bundesländer nicht oder nur eingeschränkt zuständig erklären." Für jene der "prekär Selbstständigen" gebe es in keinem einzigen Bundesland eine explizite Regelung. (Günther Oswald, derStandard.at, 6.3.2014)

* Name geändert