Wien - Geraume Zeit nach Maus und Mann, entdeckt die medizinische Forschung die Frau. Das heißt, schön langsam verbreitet sich das Wissen, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, die relevant für Diagnose, den Verlauf und die Therapie von Krankheiten sind. Allerdings werde das nach wie vor häufig ignoriert, betonten Experten am Mittwoch bei einer Pressekonferenz zum Thema "Gendermedizin" in Wien.

Der Mann gelte als traditioneller Prototyp in der Medizin - von der Forschung bis zur Therapie: Auf dieses Phänomen weist Alexandra Kautzky-Willer, Leiterin des 2011 eingerichteten Lehrgangs für Gendermedizin an der MedUni Wien hin. Wiener Forschungsergebnisse deuten jedoch auf Unterschiede bei häufigen medizinischen Problemen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Übergewicht, Diabetes, Autoimmunerkrankungen oder Krebs hin.

Die lange Zeit eingeschränkte Sichtweise der Forschung nahm schon im Tierversuch ihren Anfang, wie Vera Regitz-Zagrosek von der Charite in Berlin erläutert: Die Erforschung von Medikamenten erfolgte an männlichen Jungmäusen - billige Objekte, da in Versuchsreihen kein weiblicher Zyklus zu berücksichtigen ist, was aber zu Folge hat, dass eben dieser für die Behandlung relevante Aspekt nicht in die Forschungsergebnisse einfließt.

Kaum "Teil unseres Gedankenmusters"

Evident ist der Geschlechterunterschied etwa beim Blasenkrebs, wie der Vorstand der Wiener Uniklinik für Urologie, Shahrokh F. Shariat, betont: Er wird bei Frauen später diagnostiziert als bei Männern, da es vermutlich sowohl den Patientinnen als auch den Ärzten an Bewusstsein dafür fehlt.

Bei der postoperativen Behandlung muss wegen eines unterschiedlichen Rezeptors möglicherweise auch ein anderer Ansatz gewählt werden. Dazu läuft an der Uniklinik gerade eine Phase-II-Studie. Bei der Entstehung von Blasenkarzinomen dürfte der Lebensstil bei Frauen außerdem einen stärkeren Einfluss als bei Männern nehmen: Demnach haben Raucherinnen im Vergleich zu Rauchern ein höheres Risiko, an Blasenkrebs zu erkranken.

An der MedUni Wien wird Gendermedizin außerhalb des postgraduellen Lehrgangs sowohl in Wahl- als auch in Pflichtfeldern gelehrt. "Das Interesse ist groß", sagte Kautzky-Willer unter Berufung auf eine Umfrage unter Studierenden. Shariat schätzt allerdings, dass es noch fünf bis zehn Jahre brauchen wird, bis Gendermedizin "Teil unseres Gedankenmusters wird". (APA/red, derStandard.at, 5.3.2014)