Teresa Valencak erforscht, wie Mäuse zu Milch kommen.

Foto: Fuchs

Wenn wir Hunger haben, essen wir etwas. Wenn wir - etwa durch Bewegung - viel Energie verbrauchen (und nicht auf Diät sind), essen wir einfach mehr. Der Durchschnittsbürger kommt kaum in die Verlegenheit, diesbezüglich an eine Grenze zu stoßen - anders als Leistungssportler: Diese agieren häufig am physiologischen Limit, das heißt, sie können gar nicht so viele Kalorien zuführen, wie sie bei ihrer Tätigkeit verbrauchen.

Das gilt auch für säugende Tiermütter: Selbst bei unbegrenzter Verfügbarkeit von Nahrung können sie nicht beliebig viel Milch für die Nachkommenschaft erzeugen, weil sie das Futter einfach nicht schnell genug aufnehmen und verwerten können. Darüber, wie dieses Limit zustande kommt, gibt es verschiedene Hypothesen: Eine begrenzte Leistungsfähigkeit des Verdauungstraktes wird diesbezüglich ebenso diskutiert wie die der Milchdrüsen.

Eine andere Theorie nimmt die Wärme, die bei der Milchproduktion entsteht, als limitierenden Faktor an. Die Abführung dieser Wärme zur Erhaltung einer konstanten Körpertemperatur verbraucht selbst jede Menge Energie - ein Problem, das man auch von Rechenzentren kennt, deren Größe weniger von der Leistungsfähigkeit der Chips als von der nötigen Kühlung eingeschränkt wird. Von Kühen weiß man, dass sie mehr Milch geben, wenn sie unter kühlen Bedingungen gehalten werden, und in einer Studie mit Mäusen wurde eine höhere Milchproduktion erreicht, wenn das Fell der Mütter geschoren wurde.

In allen bisherigen Untersuchungen zu dem Thema wurden jedoch die Mütter und ihr Nachwuchs stets bei derselben Temperatur gehalten. Teresa Valencak vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat als Stipendiatin des Elise-Richter-Programms des Wissenschaftsfonds FWF kürzlich an der Universität Aberdeen mit Kollegen einen neuartigen Versuch durchgeführt.

Bei dieser Studie wurden die Mäusekinder in einem Teil des Käfigs bei konstant 21 Grad untergebracht, während Wasser und Futter für die dazugehörigen Mütter jedoch in einem anderen, kleineren Teil des Käfigs angeboten wurden, in dem nur zehn Grad herrschten. Die Weibchen konnten dabei ihren Aufenthaltsort frei wählen und auch die Jungen dorthin transportieren, die Jungen hingegen konnten nicht selbstständig entscheiden, in welchem Teil des Käfigs sie sich aufhielten. Eine Kontrollgruppe hatte dieselbe Versuchsanordnung, nur mit dem Unterschied, dass es im gesamten Käfig 21 Grad hatte.

Kühle Küche, warmes Nest

Wie Valencaks Gruppe erwartet hatte, konnten die "kalten" Mäusemütter mehr fressen: Sie nahmen pro Tag um drei Gramm mehr Futter zu sich als ihre im Warmen gehaltenen Artgenossinnen. Das klingt nach wenig, entspricht aber dem täglichen Nahrungsbedarf einer kinderlosen Labormaus.

Bemerkenswerterweise hielten sich die Mütter, denen Speis und Trank nur bei zehn Grad zur Verfügung standen, nicht nur so lange in der entsprechenden Kammer auf, bis sie ihren Hunger bzw. Durst gestillt hatten: Tatsächlich verwendeten sie darauf nur 15 Prozent ihrer Zeit, verbrachten aber insgesamt 40 Prozent im kühleren Käfigteil. Keine verlegte ihre Jungen dorthin - im Unterschied zu den Kontrolltieren. Diese trugen sämtlich das Nest und die Jungen in den kleineren Käfig - wahrscheinlich, weil Mäuse sich sicherer fühlen, wenn sie es eng haben.

"Offenbar gibt es unterschiedliche Temperatur-Optima für Mütter und Junge, solange diese gesäugt werden", wie Valencak erklärt, "die Mütter dürften von der Kälte profitieren, weil sie nicht so viel Wärme abführen müssen, wohingegen die Jungen bei höheren Temperaturen besser wachsen."

Jedenfalls waren die Mütter, die bei zehn Grad fraßen, besser imstande, Nährstoffe aus der angebotenen Nahrung zu extrahieren, und gaben mehr Milch. Die genaue Bestimmung der Milchmenge bei der Labormaus erforderte die Durchführung der Studie an der Universität Aberdeen. Dort kann nämlich mittels Messung von doppelt markiertem Wasser ganz genau das Energiebudget der Mäusemutter ermittelt werden.

Eine Frage blieb in der Studie allerdings unbeantwortet: Die Jungen der "kalten" Mütter wuchsen nämlich nicht schneller als die der Kontrollgruppe. "Wir wissen noch nicht, warum das so ist", gibt Valencak zu, "aber wir konnten mit dem Versuch auf jeden Fall zeigen, dass weder die Leistungsfähigkeit des Darmes noch die der Milchdrüsen die limitierenden Faktoren sind." (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 5.3.2014)