Diethelm Blecking, Lorenz Peiffer, Robert Traba (Hg.)
Vom Konflikt zur Konkurrenz
Deutsch-polnisch-ukrainische Fußballgeschichte
Verlag Die Werkstatt 2014
288 Seiten, 25,60 Euro

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Ukrainische Soldaten sagen in der Nähe des Flughafens von Sewastopol ein Kickerl an. Im Hintergrund: russische Militärlaster. 
Foto: reuters/fedosenko

"Die Zukunft unseres Landes wird bedroht. Gewalt und Gesetzlosigkeit von außen sind inakzeptabel." Also sprach Rinat Achmetov, reichster Mann der Ukraine, Parteifreund des vertriebenen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und Macher von Schachtar Donezk, dem erfolgreichsten Fußballklub des Landes angesichts der anrollenden Realpolitik von Wladimir Putin.

Auch in der Ukraine, diesem derzeit so gebeutelten Land, stehen einander die Sphären von Wirtschaft, Politik und Sport nicht näher als anderswo. Theoretisch. Praktisch jedoch kann man hier derzeit in einer Deutlichkeit wie kaum sonstwo beobachten, was passiert, wenn sich die Systeme gegenseitig kolonisieren. Anmaßungen und Übergriffe, die deren Autonomie zerstören, sind es, die die schweren Dysfunktionalitäten zur Folge haben, an denen das Land zu zerbrechen droht.

An der Person Achmetovs wird beispielhaft sichtbar, wie die Grenzen von politischer Macht, ökonomischem Fortkommen und sportlichem Erfolg bis zur Unkenntlichkeit perforiert werden. Das zeigt Stefan Wellgraf in seinem Beitrag im neuen Sammelband "Vom Konflikt zur Konkurrenz. Deutsch-polnisch-ukrainische Fußballgeschichte". Die Texte zur Ukraine sind es, die aufgrund der Dramatik der letzten Tage die ganze Aufmerksamkeit beanspruchen.

Im Oligarchentum, der "gesetzlosen Herrschaft der Wenigen und Reichen über das Volk", nimmt der Milliardär eine herausragende Stellung ein. Sein Weg vom durchaus zwielichtigen Aufsteiger zum mächtigem Kulissenschieber und Gebieter über ein weitverzweigtes Firmenkonglomerat wird ebenso dargestellt, wie die notwendige Bedingung einer stillschweigenden Duldung dieser Zustände durch die Bevölkerung.

Der Fußball als Geschenk

Dieser ist der systematische Betrug zwar zumindest intuitiv durchaus klar, sie schätzt gleichzeitig aber doch auch die ordnende Hand der Oligarchen in ihrem jeweiligen regionalen Machtbereich. Und auch die sündteuren Vergnügungen, die die nach Respektabilität strebenden Wohltätern ihren Mitbürgern zukommen lassen, werden durchaus gewürdigt. Der Fußball  ist die beliebteste und effektivste Spielwiese für Zerstreuung und der Herstellung emotionaler Verbundenheit zwischen Oligarchen und Beschenkten. "Die Millionenausgaben für den Fußball erweisen sich als eine Form des Sozialvertrags mit Tausenden Wahlberechtigten Fußballanhängern", schreibt Wellgraf.

Dass Fußballspiele angesichts dieser Gemengelage längst als Repräsentation viel größerer Rivalitäten und Ausdruck aktueller Machtverhältnisse wahrgenommen werden ist unvermeidlich. Duelle zwischen Dynamo Kiew und Schachtar Donetsk sind eben auch solche zwischen dem Achmetov-Lager und jenem des Magnaten Grigori Surkis. Der Boss des sogenannten Kiewer Clans war bis 2012 Präsident des ukrainischen Fußballverbands, doch der Stern sank. Schließlich stand Dynamo-Besitzer Surkis in einem Naheverhältnis zu Wiktor Juschtschenko, bis 2010 ukrainischer Präsident und Antipode seines Nachfolgers Janukowitsch.

Ultras als Revolutionswächter

Die machtpolitischen Konflikte spiegeln sich in den Stadien, was Wunder, dass auf Bitte des Innenministeriums der für das Wochenende angesetzte Start in die Rückrunde der Meisterschaft auf unbestimmte Zeit ausgesetzt worden ist. Ausgerechnet der Schlager Dynamo gegen Schachtar wäre auf dem Programm gestanden. Fußballfans spielten auch in den Demonstrationen gegen das Janukowitsch-Regime auf dem Maidan eine wichtige Rolle, sie sahen sich als Garanten des Rechtes zum öffentlichen Protest - ohne sich selbst explizit zu positionieren.

Ihre Mission war es, die Demonstranten vor den regierungsnahen Schlägertrupps, Tituschki, zu schützen. Dafür stellten die Ultras der verschiedenen Klubs ihren rechtschaffenen Hass untereinander erst einmal hintan. Dass die ganz offen mit der rechtsextrem-nationalistischen Swoboda sympathisierenden Ultras von Karpaty Lwiw dabei an vorderster Front standen ist dabei deutlich weniger überraschend als die Beteiligung von Schachtar-Anhängern. Das Mitmischen von Gruppen, die rassistischem Gedankengut mehr als nahestehen, erleichterte es den Gegnern der "Revolution" in der Folge erheblich, die gesamte Bewegung unter faschistischen Generalverdacht zu stellen.

Euro 2012 revisited

Auch die Ausrichtung und Finanzierung der Europameisterschaft 2012 wäre ohne die Regionalkaiser für die Ukraine nicht zu stemmen gewesen. Achmetov und sein Pendant aus Charkiv, Olexandr Jaroslawskyj, finanzierten Stadieninfrastruktur, Trainingsgelände und den Bau von dringend benötigten Hotels. Jaroslawskyj, damals noch Besitzer des aufstrebenden Klubs Metalist Charkiv, stellte in seiner Stadt sogar einen neuen Regionalflughafen in die Landschaft.

Die gesellschaftlichen Brüche und fußballspezifischen Probleme waren während des Turniers kaum sichtbar. Auch medial auf das Schlimmste vorbereitet, nahmen EM-Touristen die Ukraine viel positiver wahr, als zunächst befürchtet. Sogar eine gewisse Konsolidierung eines ukrainischen Nationalgefühls konnte beobachtet werden, schreibt die Historikerin Kateryna Kobchenko. So tauchte der für die Identitätsstiftung so wichtige Kosaken-Mythos nun im Zusammenhang mit dem ukrainischen Nationalteam in verschiedensten Formen auf, etwa in der Werbekampagne einer Brauerei.

Dass schon zu Sowjetzeiten Kiew-Anhänger Kosakenmotive bei Duellen mit Klubs aus Moskauer Klubs verwendet hatten, leitet über zum komplexen Verhältnis zwischen Ukrainern und Russen. Die grausamen Ideologien des 20. Jahrhunderts, die Menschen zur Verschubmasse im Dienste einer abstrakten Idee degradieren, spielen hier eine wichtige Rolle. Und die unbeschreiblichen Gräuel, die die Folge davon waren.

Ukrainer und Russen

Thomas Urban, langjähriger Polen-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, zeigt das anhand des "Todesspiels von Kiew", dessen Hochstilisierung zum heroischen Akt des Widerstands russisch-sowjetischer Patrioten gegen die nationalsozialistischen Besatzer - und der wissenschaftlichen Widerlegung dieser optimierten Version von Geschichte in der unabhängigen Ukraine. Noch zum 70. Jahrestag des Spiels einer Kiewer Elf gegen eine Wehrmachtsmannschaft im Sommer 1942, bei dem die Deutschen ihre Niederlage durch die spätere Ermordung mehrerer ukrainischer Spieler gerächt haben sollen, wurden in einem russischen Spielfilm die alten Klischees erneut bedient: heldenhafte Fußballer (russisch sprechend), Kollaborateure und Vaterlandsverräter (ukrainisch sprechend).

Die Premiere von "Match" in Kiew wurde vorsorglich auf die Zeit nach der EM verschoben, ganz im Sinn von Swoboda - nunmehr Teil der neuen Kiewer Regierungskoalition. (Michael Robausch, derStandard.at, 4.3.2014)