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Wichtige Teile der Wirtschaft sind weiterhin in Staatshand - nicht immer zu ihrem Besten.

Foto: REUTERS/David Mdzinarishvili

Berlin/Kiew/Moskau -  Investoren lässt die Eskalation in der Ukraine nicht kalt. Die Krim-Krise hat die Börsen auf Talfahrt geschickt. Nach Einschätzung von Ökonomen könnte die Zuspitzung des Konflikts auch Folgen für die globale Wirtschaft haben. "Geopolitische Unsicherheiten vor der eigenen Haustür und ein potenzieller politischer Konflikt mit Russland bedeuten für die EU auch wirtschaftliche Unsicherheiten", sagte der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater dem "Handelsblatt Online". Kater hält es allerdings auch für gut möglich, dass die Krise noch politisch eingedämmt werden könne.

Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen deutschen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), warnte im Deutschlandfunk ebenfalls vor einer Eskalation. "Sollten die Auseinandersetzungen die Grenze zum Kriegerischen überschreiten, droht der finanzielle Kollaps", sagte Horn.  In einer solchen unübersichtlichen Situation könnten der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die EU wenig ausrichten, "ein Staatsbankrott wäre dann unvermeidlich". Aus europäischer und globaler Sicht verstärke sich damit die ohnehin vorhandene Unsicherheit, die derzeit immer noch eine erhebliche Bürde für einen stabilen globalen Aufschwung sei.

Geldbedarf unbekannt

Was den für die Ukraine kolportierten Geldbedarf betrifft – weit über 20 Milliarden Euro wurden da etwa als Höchstsumme genannt – so sieht Horn hier keine validen Zahlen: "Man weiß ja nicht einmal, wie der Staatshaushalt im Moment aussieht. Da ist die Rede davon, dass 70 Milliarden verschwunden sind. Für unmittelbare Überbrückungskredite glaubt man 35 Milliarden zu brauchen. All dies ist natürlich sehr schwammig, denn die Institutionen in der Ukraine funktionieren im Moment nicht mehr richtig." Klar sei, dass die Ukraine derzeit im freien wirtschaftlichen Fall sei.

Auch IWF-Chefin Christine Lagarde zeigte sich zuletzt eher besorgt über die "zahlreichen Zahlen", die zum Kreditbedarf der Ukraine kursierten. Die Summen seien "bedeutungslos", bis der Währungsfonds die Lage in der Ukraine genau geprüft habe. Die Ukraine hatte am Donnerstag vergangener Woche offiziell ein Hilfsgesuch beim IWF eingereicht. Zuletzt hing die Ukraine finanziell am Tropf der Regierung in Moskau, die ihre Hilfen wegen der politischen Umwälzungen allerdings eingefroren hat. Die Übergangsregierung in Kiew hatte den Finanzbedarf in den kommenden zwei Jahren auf 35 Milliarden Dollar (umgerechnet rund 25 Milliarden Euro) beziffert.

Geringe Wirtschaftskraft

Was die Wirtschaftskraft der Ukraine betrifft, so ist diese vergleichsweise gering. Das Einkommen pro Kopf in der wirtschaftlich bei weitem stärksten Ex-Provinz der Ex-Sowjetunion liegt bei rund 7.000 Dollar, Österreich kommt auf über 40.000 Dollar pro Kopf.

Die Wirtschaft hat in den letzten Jahren kräftig an Schwung verloren. Wuchs sie 2011 um 5,2 Prozent, waren es 2012 nur 0,2 Prozent. 2013 dürfte sie sogar leicht geschrumpft sein, sagt Hermann Ortner, WKO-Außenhandelsdelegierter in Kiew.  Die Gründe sieht er neben der internationalen Wirtschaftskrise auch in verschleppten Reformen und in mangelnder Rechtssicherheit. "Firmen sind hier hauptsächlich mit Problemen beim Zoll, in Sachen Steuern und mit der Verwaltung beschäftigt".

Andere Experten halten neben der ausgeprägten Korruption - Transparency International bewertet Land als eines der korruptesten der Welt - auch eine stark von Einzelinteressen geleitete Politik für bremsend. Ähnlich wie in Russland ist auch in der Ukraine eine kleine Gruppe von Menschen durch Privatisierungen von Staatsbetrieben Anfang der 1990er Jahre zu Millionären und Milliardären aufgestiegen. Ihnen sagt man nach wie vor eine maßgebliche Rolle bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen nach. Auch die ehemalige Regierungschefin und Oppositionsführerin Julia Timoschenko hat nach der Auflösung der Sowjetunion ein Vermögen mit Rohstoffgeschäften gemacht. Gleichzeitig sind wichtige Teile der Wirtschaft weiterhin in Staatshand.

Die ukrainische Industrie – ein wichtiger Eckpfeiler ist neben der Landwirtschaft die  Schwerindustrie -  leidet darüber hinaus nach wie vor unter geringer Wettbewerbsfähigkeit. "Da hat sich kaum etwas verbessert", sagt WKO-Mann Ortner. Auch was die Infrastruktur betreffe, so liege vieles im Argen.

Dennoch sahen Experten in der Ukraine das Potenzial, ein lohnendes Investitionsziel für Ausländer und zum Produktionsstandort für westliche Firmen zu werden. Die kumulierten ausländischen Direktinvestitionen betragen seit der Unabhängigkeit rund 54 Milliarden US-Dollar. Größter Auslandsinvestor ist Zypern. Österreich liegt mit einem Volumen von 3,4 Milliarden US-Dollar immer noch an fünfter Stelle. Im letzten Jahr lagen die heimischen Ukrainie-Investitionen allerdings bei Null. Heimische Banken (die jetzt mit massiven Problemen kämpfen) Versicherungen, aber auch Mittelständler wie der Solarelektronikhersteller Fronius sind schon länger vor Ort, für manche mittlerweile bekanntlich ein kostspieliges Abenteuer.

Wichtiger Partner Russland

Mit Abstand wichtigster Handelspartner der Ukraine ist Russland. Konsumgüter, Maschinen, Lebensmittel werden an den ehemals großen Bruder verkauft. Ein Drittel der ukrainischen Importe stammt aus dem Nachbarland, ein Viertel der Exporte gehen dorthin. Die Ukraine importiert außerdem fast ihr gesamtes Gas aus Russland. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch Europa Sorgen bereiteten.

Rund ein Drittel der Exporte fließt in die EU. Österreich bezieht etwa Erze und Schlacken. Umgekehrt verkaufte die Alpenrepublik 2013 Waren und Dienstleistungen – darunter etwa Landwirtschaftsmaschinen - im Wert von über 600 Millionen Euro. Eine engere wirtschaftliche Verknüpfung durch ein Handels- und Assoziierungsabkommen liegt auf Eis. Darauf hätten viele Investoren und Firmen gewartet, sagt Ortner. Seine Zelte abbrechen will derzeit laut Ortners Angaben niemand: "Jetzt wird man wohl auf die Wahl warten müssen." (rebu, derStandard.at, 3.3.2014)