Manch Politiker mag freudlos schäumen bei der "Zeit im Bild". Mir vermittelt sie seit Neujahr eine Art Pawlow'schen Reflex. Das liegt an Rainer Hazivar. Und warum, weiß ich seit 8. Jänner, gegen Mittag.
Da kam der "ZiB"-Anchor gerade aus unserem Chat und aufs Essen. Vielleicht, weil Mittag war, vielleicht, weil ihn STANDARD-Exkollegen noch ein bisschen besmalltalkten über Freizeitaktivitäten. Da erzählte Hazivar, wo er einst – neben der STANDARD-Innenpolitik – kellnerte, um sich Journalismus leisten zu können.
Und da wusste ich endlich, warum mir die "ZiB" um 19.30 Uhr neuerdings Appetit macht: Ich war Anfang der 1990er praktisch Dauergast im Kiang in Wiens achtem Bezirk, Lederergasse. Chic wie die anderen Kiangs von Thomas K., aber dank beherzten Holzeinsatzes weit wärmer. Und dank des Personals weit netter. Romana etwa, und Rainer. Genau.
Ich habe zwar keine Ahnung mehr, was ich dort – geradezu unbeirrbar konsequent – gegessen habe. Aber jedenfalls auch ab und zu Ameisen auf dem Baum. Faschiertes, Puffreis (so nannte ich den damals jedenfalls), eigenhändig auf den Baum, also in ein Salatblatt zu bringen.
Entsprechend sentimental meine Journey in Josef Kiangs Weinbar (16. Bezirk, Yppenplatz 11, 0664/515 36 33 – und im Original weit röter als auf meinem Foto). Der kam nach von einigen Jahren Wirtsdasein in Peking zurück und fand die künstlerdesignte Bar auf dem Yppenplatz. Und wo ich gerade in Ottakring campiere, war's nun wirklich Zeit. Zwei Monate nach Hazivars Hinweis auf den damals noch recht neuen Kiang-Standort. Aber was sind zwei Monate gegen gut zwei Jahrzehnte? Eben.
Da war es auch schon: das Fladenbrot aus dem alten Kiang. Also schon neu gemacht, aber: fett wie damals, gut wie damals. Und mit der Kiangisierung von Ottakring entfällt also auch der letzte fette Grund, sich noch einmal zurückzuwünschen an den Beginn der 1990-er. Nur bitte das nicht noch einmal!
Die Wunderbare, gerade etwas geruchsempfindlich, untersagt mir chinesische Eier, die sich ähnlich alt fühlen wie ich bisweilen, aber gemeinhin deutlich kräftiger nach Ammoniak muffeln. Sie selbst greift zum lauwarmen Melanzanisalat mit Spitzpaprika, Paradeisern und Jungzwiebeln. Harmlos, aber gut.
Ich indes will wenigstens Kuttelflecksalat mit Lauch und Paprika, dank Sesam-Chiliöl schon etwas schärfer – mag ich. Die Theorie der Wunderbaren, dass das Kalbsfrottee halt immer nach Kuttel schmeckt – kann ich bestätigen. Sonst bräuchte man sie ja nicht bestellen. Was ich vor 20 Jahren auch eher nicht gemacht hätte. Schon deshalb gibt's zum Glück kein Zurück.
Selbst ihre feine Nase konnte sich nicht an den fermentierten Dosi-Bohnen zum Heilbutt stoßen: So dezent waren die. Wie insgesamt der Fisch wie damals war – ziemlich mild, ziemlich cremig-durch, auf Blattspinat. Schon wieder so ein Blick zurück. Ein schöner.
Die Entenkeule "Shanghai" kannte ich so noch nicht. Mürb, saftig, gut. Auch mit gebratenem Blattspinat. Und süßlicher Sojasauce. Gut für mich, dass die Wunderbare gut riecht, aber von eher schlechtem Appetite – blieb also mir mehr von der Ente.
Dafür blieb ihr der Großteil der mehlfreien, aber mit ordentlich Butter und Nüssen aufgebauten Schokotorte samt Vanilleeis, wiewohl ich die durchaus mochte. Schon weil ich noch mit der Trauer über die heute gerade nicht verfügbaren Sesam-Buns beschäftigt war.
Wer auch ohne deren süße rote Bohnenpaste gut durchkommt oder sich mit dem äußerst ansehnlichen Weinangebot über ihr Fehlen hinwegtrösten kann, dem und der kann ich den Samstag nur empfehlen. Da bekommt man in der wirklich kleinen Bar tatsächlich noch Platz, unter der Woche soll das schon schwieriger sein. Sagt nicht nur Josef Kiang, sondern auch eine ORF-Journalistin mit scharfem Blick. Nein, mit Hazivar hat die nichts zu tun, sie geht nur regelmäßig an der Weinbar vorüber. (Harald Fidler, derStandard.at, 4.3.2014)