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Thomas Oberender, ehemals Salzburger Schauspielintendant, lädt die US-Avantgarde von Glass/Wilson als Remake ihrer selbst nach Berlin ein. 

Foto: EPA/Carstensen

Berlin - Mit der originalgetreuen Aufführung der Philip-Glass-Oper Einstein on the Beach im Berliner Haus der Festspiele (Premiere heute Abend) wirft das Festival MaerzMusik im Rahmen der Berliner Festspiele illustre Schatten voraus. Das von Robert Wilson eingerichtete Gesamtkunstwerk erlebte 1976 seine Uraufführung und befindet sich nun als Produktion der Brooklyn Academy of Music auf Welttournee.

STANDARD: In den 1980er-Jahren konnte man in vielen Plattensammlungen die Vier-LP-Box von "Einstein on the Beach" sehen. Wo kamen Sie zum ersten Mal in Kontakt mit "Einstein on the Beach"?

Oberender: Auf der Bühne habe ich es erst kürzlich zum ersten Mal in Paris gesehen. Der erste Kontakt ging über die Musik. Ich hatte mal eine Minimal-Music-Phase. Die Knee Plays waren meine Lieblingsstücke.

STANDARD: Einen vergleichbaren Fall gibt es im Musiktheater eigentlich kaum: "Einstein on the Beach" wird im Grunde bis heute von seinen Urhebern verwaltet.

Oberender: Dabei haben wir es mit einem Stück durchaus publikumswirksamer moderner Opernliteratur zu tun. Es ist eine der wenigen Opern in Minimal Music, in dieser inzwischen klassischen Musik-Ära innerhalb der Neuen Musik, die auch beim Publikum ankommt. Man kann es vielleicht vergleichen mit der Compagnie von Pina Bausch. Die Choreografien bleiben künstlerisches Eigentum dieser Truppe. Einstein on the Beach ist ein echtes Original, dessen Strahlkraft verhindert, dass es als freigegeben empfunden wird.

STANDARD: Die Musik von Glass war eine Weile so populär, dass sie latent unter Kitschverdacht geriet.

Oberender: Ich finde andere Kompositionen von ihm eingängiger. Diese ist zumutungsreich und nicht ranschmeißerisch. Ich liebe seine Klavierarbeiten, die Circles, die finde ich streng und sehr variationsreich. Ich mag auch seine Lieder sehr gerne. Die Oper ist für mich ein Durchbruchswerk, da hat er die große Form hingelegt. Die Sache mit Glass ist natürlich auch ein US-Phänomen. Dort ist man nicht für die Philharmonie gestorben, wenn man einmal Filmmusik gemacht hat.

STANDARD: Könnte man von einem Gesamtkunstwerk sprechen?

Oberender: In einem gewissen Sinn viel berechtigter als bei Wagner. Die Parallele liegt in der totalen polysensorischen Bearbeitung des Publikums, einem Prinzip, das Wirkung über alles stellt. Die Autonomie der Elemente ist das qualitativ Neue an Einstein on the Beach. Die beteiligte Choreografin Lucinda Childs etwa hat bei Merce Cunningham studiert. Philip Glass und Robert Wilson haben voneinander unabhängig, zwar in enger Zusammenarbeit, aber jeder für sich, eine Kreation erfunden, die Wagner diametral entgegensteht: keine Handlung zu illustrieren, sondern eine Reihe von Elementen in immer wieder anderen Anordnungen auszuprobieren. Die Musik ist reiner Klang, keine Stimmungsillustration. Von Christopher Knowles kam eine abstrakte Textpartitur. Diese Künstler vereinen sich in einer Kreation, die die Eigengesetzlichkeit der Elemente über alles stellt.

STANDARD: Robert Rauschenberg und John Cage werden als Bezugsfiguren genannt. Das alles verweist eher auf Hochmoderne als auf frühe Postmoderne.

Oberender: Das kommt aus der Phase, in der Amerika die Weltmacht Nummer eins und New York der Nabel der Welt war. Viele Praktiken, die in diesem Werk zur Anwendung kommen, sind in den frühen 1960ern ausprobiert worden. Die Entkoppelung des Mediums von den Aufträgen, etwas zu repräsentieren, das alles trat damals aus einer Laborsituation auf das Parkett der Welt hinaus. Einstein on the Beach ist für mich ein Werk des guten Amerika. Ein prophetisches Werk. Man spricht ja auch vom ersten Kunstwerk des digitalen Zeitalters.

STANDARD: Worin bestünde diese Digitalität?

Oberender: Minimal Music lebt sehr stark von der Programmhaftigkeit, und das überträgt sich hier auf das gesamte Werk. Die Geschichte unserer Verwurzelung in Traditionen wird beiseitegewischt und ersetzt durch etwas, das zunächst wie ein Code erklärungslos funktioniert. Da geht es um Strukturen, um das Programmieren von Geschehnissen. Es geht darum, in eine Konstruktion einzutreten, die das Spielwerk von Zeremonien ist. Das Zeremoniell von Musik, Bild, Bewegung hält sich durch die Zeit durch und ist dabei vollkommen demokratisch und zugleich determiniert.

STANDARD: Dem steht die Aufführungspraxis entgegen, die von der Aura der Originalprotagonisten lebt.

Oberender: Das ist das Glückliche an der Präsentation, dass sich das noch einmal herstellen ließ. Lucinda Childs arbeitet gerade auf der Probebühne, während wir hier sprechen. Von der Dimension her ist die Aufführung ein Festival für sich. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 3.3.2014)