Wien - Überraschend polit- und selbstkritisch zeigte sich Peter Praet, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), bei einer Veranstaltung der Nationalbank am Donnerstag in Wien. Die Politik - Praet schließt die Geldpolitik und damit sich und seinen Arbeitgeber hier nicht aus - sei den Geschehnissen in der Krise immer nur nachgelaufen. Erst 2012 habe man dann verstanden, wie tief die Probleme im europäischen Währungssystems liegen, sagte der Belgier vor Ökonomen und Finanzbeamten bei einer Konferenz zur Lage des internationalen Währungssystems. Das sei ein sehr später Lernprozess gewesen.
Im Sommer 2012 kündigte EZB-Präsident Mario Draghi dann an, bei Bedarf Staatsanleihen von Krisenstaaten aufzukaufen, um einer Panik an den Finanzmärkten vorzubeugen. Ökonomen sehen darin den entscheidenden Wendepunkt der Eurokrise. Praet betonte, es habe immer eine Reaktion gegeben, auch wenn diese oft erst am Rande des Abgrunds getroffen worden sei. Heute würde niemand mehr bezweifeln, dass alles daran gesetzt werde, den Euro zu retten.
Noch Hausaufgaben
Ein Fehler sei es jedenfalls auch gewesen, sich rein auf die Stabilität der Preise im Euroraum zu konzentrieren. Man habe gelernt, dass Preise auch stabil sein könnten, wenn alles andere instabil sei. Die EZB sei mit ihren Hausaufgaben noch nicht fertig, so Praet. Der Zentralbank müsse noch einen Weg finden, den Finanzzyklus in ihre Modelle zu integrieren. Unter dem Finanzzyklus versteht man das Auf und Ab der Gesamtverschuldung einer Volkswirtschaft.
Positiver sieht das ganze der ehemalige IWF-Direktor Jacques de Larosière, der ebenfalls an der Konferenz teilnahm. "Ab 2010 hat die Politik richtig reagiert", sagte Larosière im Gespräch mit derStandard.at. Der Franzose war fast zehn jahre lang Chef des Währungsfonds und in den Jahren vor der Euro-Einführung Präsident der französischen Nationalbank. "Davor waren aber sowohl Politik als auch Märkte blind", sagte der mittlerweile 84-Jährige. Über zehn Jahre hätten sich Ungleichgewichte aufgebaut und niemand hätte sich daran gestoßen.
Nun habe sich das aber wieder ausgeglichen, so Larosière. "Fast alle Krisenländer haben ausgeglichene Leistungsbilanzen. Was in zehn Jahren aufgebaut wurde, hat man in drei bis vier Jahren wieder korrigiert." (Andreas Sator, derStandard.at, 28.2.2014)