Wien - Einmal, in einer Runde vietnamesischer Landsleute, in einer Wohnung in Wien, ist die Erinnerung an dieses Lied wieder da: Tomorrow you will leave - der Titel des Films ist der ins Englische übersetzte Name eines vietnamesischen Schlagers. Mit diesem Lied verabschiedete man einst jene, die aus einem Flüchtlingslager aufbrachen - in eine bessere Zukunft, hoffentlich.
Familiengeschichte(n)
Der Aufbruch liegt Jahrzehnte zurück. In seinem Langfilmdebüt Ich muss dir was sagen (2007) hat sich der Dokumentarist Martin Nguyen ein Jahr lang dem Alltag einer fremden Familie angenähert. Nun steht seine eigene im Mittelpunkt: Tomorrow you will leave führt nach Niederösterreich, wo diese seit den 1980er-Jahren lebt, und gelangt schließlich nach Malaysia. Dort, in einem inzwischen nicht mehr existierenden, riesigen Lager für vietnamesische Flüchtlinge, wurde Martin Nguyen 1980 geboren. Und dort hofft sein Vater jenen Mann namens Ali wieder zu finden, dem er eine zentrale Bedeutung in Bezug auf sein weiteres Leben zuweist.
Bevor mit der nicht ganz einfachen Suche nach Ali noch einmal ein eigener dramatischer Bogen beginnt, werden erst einmal ein Alltag und seine Gewohnheiten erkundet: Schwätzchen mit Nachbarn und Arbeitskollegen gehören dazu, selbstverständliche Handgriffe - da und dort kleine Erzählungen vom Ankommen in Österreich und vom Leben davor. Der Eindruck einer buchstäblich geerdeten Existenz, die gleichwohl immer wieder Melancholie durchzieht.
Tomorrow you will leave findet dafür einen ruhigen, unaufdringlichen Erzählrhythmus: Der Kamerablick richtet sich auf die Gegend in und um Furth an der Triesting in Niederösterreich. Die Verbindung zur Landschaft ist auch beruflich bedingt: der Vater ist Land- und Forstarbeiter, die Eltern bauen allerhand Gemüse an.
Mit der Dauer des Films werden in diesem Alltag kleine Linien zwischen neuer und alter Heimat sichtbar, in denen das Vertraute und die Unterschiede ganz nah bei einander liegen: der Himmel über Niederösterreich und der Himmel über Pulau Bidong. Rare Pflanzen, die aus Felsen wachsen. Das Fleckvieh und die Wasserbüffel. Unmerklich wächst dabei die Intensität. Ein kleiner, sehenswerter Film. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 28.2.2014)