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Der Alltag in der Fabrik: Produktion am Fließband. Aber ist nur das Arbeit?

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Adelheid Biesecker: "Wenn wir Arbeit sagen, meinen wir Erwerbsarbeit."

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STANDARD: Für das gute Leben brauchen wir Ihrer Meinung nach das "Ganze der Arbeit" - was meinen Sie damit?

Biesecker: Wenn wir Arbeit sagen, meinen wir Erwerbsarbeit. Arbeit, mit der Geld verdient, Waren und Dienstleistungen für den Markt produziert werden. Alles außerhalb dieses Marktes gilt nicht als Arbeit. Tätigkeiten für die Gesellschaft, Arbeit für die Natur. Die entscheidenden Arbeiten passieren aber außerhalb der Märkte. Menschen müssen versorgt werden, als Kinder und auch später - ohne diese Sorgetätigkeiten können Menschen auf dem Markt keine Waren herstellen oder Dienstleistungen anbieten.

STANDARD: Wie wäre eine Neubewertung dieser Arbeiten möglich?

Biesecker: Erst einmal muss anerkannt werden, dass das Arbeit ist. Es geht nicht nur um Bewertung im Sinne von Geld, sondern um ei-nen Umwertungsprozess. Auch Männer müssen endlich Sorgearbeit leisten, die ja seit Jahrhunderten Frauen zugewiesen ist. Menschen müssen in den verschiedensten Bereichen Erfahrungen machen, denn nur so können sie gemeinsam beraten, was in einer Gesellschaft wichtig ist. Dafür ist aber eine starke Reduktion der Erwerbsarbeit nötig, denn derzeit ist es - anhand der klassischen Ernährer-Hausfrau-Modelle, die es noch immer gibt - leicht zu sagen: Die Männer haben dafür keine Zeit.

STANDARD: Sie sagen, die großen Krisen unserer Zeit wie Klimakrise oder Armut seien Krisen der Reproduktion. Warum?

Biesecker: Der Markt holt sich die Arbeitskräfte vom Arbeitsmarkt. Aber wer produziert denn die Arbeitskraft? Diese kommt ja von außerhalb des Marktes. Die Menschen müssen ausgebildet sein, erst dann können sie als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Das alles passiert außerhalb des Marktes und wird auch nicht von den Marktgesetzen in irgendeiner Weise bewertet. Es wird einfach vorausgesetzt, dass es da ist. Dasselbe mit der Natur. Was auf dem Markt produziert wird, setzt die Produktion von der Natur voraus. Die Rohstoffe sind da - entweder gewachsen wie Holz oder über Millionen Jahre angesammelt wie Öl. Derzeit kümmert sich niemand darum, wie sich diese Basisproduktivität erholen kann, wie sie sich reproduzieren kann. Aber wir brauchen auch diese Produktivität, und zwar so, dass sie langfristig erhalten bleibt - zumindest wenn wir wollen, dass auch zukünftig Menschen auf der Erde leben können. Wenn nicht, können wir aufhören darüber nachzudenken.

STANDARD: Neue Arbeitsmodelle brauchen Ihrer Meinung nach auch Arbeitszeitverkürzung und ein Grundeinkommen. Wie sollen sich Staaten das leisten?

Biesecker: Wir müssen uns anschauen, wie sich die Verteilung verändert hat: Die Lohnquote ist gesunken, während der Anteil an Profit gestiegen ist. Man könnte sich also einiges leisten, nur ist das halt mit Umverteilung verbunden. Es ist so viel Geld in der Welt. Wir brauchen mehr mutige Staaten, die sich trauen, mehr Steuern zu erheben. Wir brauchen auch dringend Teilzeitmodelle, damit Menschen auch Zeit haben, ihr Leben zu gestalten. Und jedes Mitglied der Gesellschaft soll einen Anspruch auf eine Grundfinanzierung des Lebens haben. Auf dieser Basis können Menschen dann auch flexibel sein und sich an den verschiedenen Tätigkeiten beteiligen.

STANDARD: Bei Arbeitszeitreduzierung und Flexibilisierung schreien aber die Gewerkschaften auf.

Biesecker: In Deutschland hatten wir gerade dieses Experiment. Unsere neue Familienministerin Manuela Schwesig hat vorgeschlagen, die Vollzeit für Eltern auf 32 Stunden zu reduzieren und den Lohnausgleich über Steuern zu finanzieren. Alle haben aufgeschrien, aber die IG Metall hat darauf reagiert. Sie will in den Tarifauseinandersetzungen 2015 die Arbeitszeitverkürzungen wieder in den Mittelpunkt stellen. Das ist schon eine interessante Entwicklung. Bisher hat man sich ja der Arbeitszeitverkürzung total verweigert.

STANDARD: Sie fordern "Kooperation statt Konkurrenz", "Vorsorgen statt Eigennutz" - das klingt eher nach Utopie denn nach konkreten Arbeitsmodellen. Und unterschätzen solche Empfehlungen nicht völlig das Motiv, Profite zu machen?

Biesecker: Das radikale Profitmotiv gilt nur für große Konzerne. Kleine und mittelständische Unternehmen brauchen ihren Gewinn für Neuinvestitionen - die machen nicht diese enormen Profite. Immerhin sind 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland mittelständische oder kleine Unternehmen - und in denen wird ganz anders gedacht und gearbeitet. Im Wirtschaftsteil von Zeitungen liest man allerdings meist nur von Unternehmen mit Aktien oder über große Zusammenschlüsse. Deren Profite sind seit der autonomen Entwicklung der Finanzmärkte aus dem Ruder gelaufen. Das Verhältnis der Finanzmärkte zur realen Ökonomie ist völlig falsch. Die Finanzmärkte haben sich vom Diener zum Herrn gemacht. Diese Übermacht gibt es aber erst seit circa 30 Jahren, sie wurde politisch gestaltet. Sie kann also wieder verändert werden. Märkte sind gesellschaftliche Institutionen, keine Automatismen.

STANDARD: Trotzdem werden Maßnahmen wie etwa die Finanztransaktionssteuer, über die es einen relativ breiten Konsens gibt, nicht ergriffen. Warum?

Biesecker: An der Finanztransaktionssteuer sehen wir, dass unser politisches System von Lobbyarbeit durchdrungen ist. Ich mache als Ökonomin zwar keine Vorschläge zur Politikgestaltung, aber klar ist: Dieses Politiksystem mit dieser Lobbyarbeit ist nicht zukunftsfähig.

STANDARD: Die Frage nach dem guten Leben stellen sich zwar viele Sozial- und Geisteswissenschafter wie jetzt auch wieder beim Symposion. Aber inwieweit wird sie in der Politik gestellt?

Biesecker: Offiziell stellt sie sich diese Frage schon, aber in den konkreten Handlungen nicht. Alle Länder, auch Österreich, haben eine Nachhaltigkeitsstrategie, bei der es auch um das gute Leben geht. Und in Deutschland und Frankreich gab es Kommissionen, die darüber nachgedacht haben, was eigentlich Wohlstand, was gutes Leben ist und wie man das anders als mit dem Sozialprodukt messen kann. Die Diskussion gibt es auch auf EU-Ebene. Aber in der konkreten Politik taucht sie nicht auf.

STANDARD: Der Philosoph Michael Hardt hat in einem Interview gesagt, der Kapitalismus sei "intellektuell erledigt". Trotzdem scheinen neoklassische Ansätze jene zu sein, die auf die Realität einen starken Einfluss haben.

Biesecker: In Deutschland haben wir einen Sachverständigenrat als Beratungsinstitution, dieser besteht vor allem aus neoklassischen Köpfen. Oder denken Sie an die Einrichtung der Thinktanks, die es in den USA schon länger gibt und jetzt auch in Deutschland. Da sind sehr konservative Kräfte mit sehr viel Geld am Werk, die ganz bewusst gegen neue Ideen arbeiten. Bei der Klimadebatte sieht man es ganz deutlich, da wird mit sehr viel Geld wider den Umstand argumentiert, dass der Klimawandel von Menschen gemacht ist. Es ist ein Machtkampf. (Beate Hausbichler, DER STANDARD, 26.2.2014)