Bild nicht mehr verfügbar.

Wegen der Kreditauflagen sparte der griechische Staat an der Gesundheit. Private Gratiskliniken für Arme sind eingesprungen.

Foto: AP/Thanassis Stavrakis

Athen/Istanbul - Einmal angenommen, die Wiener Gebietskrankenkasse würde von einem Tag auf den anderen aufgelöst, weil sie 100 Millionen Euro Schulden im Monat produziert, und das AKH in Wien offiziell für einen Monat geschlossen, bis die Regierung einen Plan hat, wie ein neuer Gesundheitsträger im Land aussehen könnte: Etwa so stellt sich nun die Situation für die Griechen da.

Gesundheitsminister Adonis Georgiadis zog vergangene Woche die Notbremse und schloss die Krankenversicherungsanstalt EOPYY für 30 Tage bis zum 17. März. Danach soll es einen neuen staatlichen Gesundheitsträger geben, der nur noch Verwaltungspersonal beschäftigt und medizinische Leistungen für seine Versicherungsnehmer kauft.

Denn die Griechische Organisation für die Zuweisung von Gesundheitsdiensten (EOPYY) beschäftigt nicht nur rund 8600 Angestellte, sondern unterhält auch 250 größere und kleinere Kliniken im Land. Verträge mit 700 Ärzten kündigte der Gesundheitsminister bereits, die EOPYY-Mitarbeiter wandern erst einmal in eines der berüchtigten "Mobilitätsschemata" der Regierung - eine Umschreibung für die zeitverzögerte Entlassung von öffentlichen Bediensteten. Die Patienten mögen bis dahin die Dienste anderer Ärzte in Anspruch nehmen und eine Liste auf der Webseite der Versicherungsanstalt konsultieren, rät das Gesundheitsministerium.

Zwei Jahre Frist

Doch die Realität sieht schon anders aus: Wegen der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit im Land - die Arbeitslosenrate ist auf nun 28 Prozent geklettert - verlieren immer mehr Griechen ihren Anspruch auf die staatliche Gesundheitsversorgung. Wer ohne Arbeit ist, kann je nach Alter und Beschäftigungsdauer maximal noch zwei Jahre bei der staatlichen Krankenkasse bleiben; dann ist Schluss.

2300 Menschen rotieren jeden Tag aus dem Versicherungssystem, warnte die Organisation Ärzte ohne Grenzen vorige Woche; 873.000 Griechen hätten keinen Zugang mehr zum Gesundheitssystem. Oppositionsführer Alexis Tsipras, Chef der linksstehenden Syriza, sprach gar von drei Millionen Bürgern ohne Versicherung, Tausende kämen nun dazu.

Kliniken besetzt

Ärzte und Krankenschwestern stemmten sich gegen den Regierungsbeschluss und begannen, Spitäler in Athen und in anderen Städten zu besetzen. Der Staat werde das Gesundheitswesen nun ganz versenken, warnte Panagiotis Psycharis, der Chef der Ärztegewerkschaft in der EOPYY.

Im Juni 2013 hatte der konservative Premier Antonis Samaras mit einem ähnlich radikalen Schritt den staatlichen TV- und Radiosender ERT abdrehen lassen. Dabei war die erst vor zwei Jahren gegründete EOPYY ein Versuch, das griechische Gesundheitssystem unter dem Druck der Kreditgeber neu zu organisieren. Krankenversicherungen wurden unter dem neuen Träger zusammengefasst, besser aufgestellte Kassen sollten die schwer defizitären auffangen. Das Ergebnis war ein noch größeres Durcheinander.

Milliardenschulden

EOPYY sei außer Kontrolle, stellte der Inspektor der öffentlichen Verwaltung im Sommer 2013 fest; die Organisation wisse nicht, wo und wie sie ihr Geld ausgebe. Da betrug der Schuldenstand bereits 1,2 Milliarden Euro.

Im fünften Jahr der drakonischen Sparmaßnahmen werden nun aber die Auswirkungen auf die gesundheitliche Versorgung der griechischen Bevölkerung sichtbar. HIV-Infektionen, Totgeburten, Tuberkulosiserkrankungen, Ernährungsmängel, Selbstmorde: Alle Zahlen sind steil nach oben gegangen, stellte die britische Medizinfachschrift The Lancet fest. Der Beitrag fand viel Aufmerksamkeit in Griechenland. Athen hatte auf Druck der Troika Ausgaben für Medikamente ebenso wie für die Betreuung von Schwangeren gestrichen.

Die Troika hat nun übrigens nach zweimonatigem Hickhack mit neuen Kontrollen der Sparbemühungen Athens begonnen.

(Markus Bernath, DER STANDARD, 25.2.2014)