Die Fachwerkhäuser in Stratford muss jemand mit dem Ärmel blankgerieben haben. Die Sonne betreibt Gymnastik. Schon glänzt das unweit von Birmingham gelegene Städtchen in der Grafschaft Warwickshire mit den Verkäufern in den Souvenirläden um die Wette. Langsam schwillt der Besucherstrom an, der sich durch Shakespeares Geburtsstadt wälzt.
Vor 450 Jahren wurde der Sohn des Handschuhmachers John Shakespeare in Stratford-upon-Avon geboren. Weil man über das Leben des weltgrößten Dramatikers wenig weiß, setzt man auf die Erkundung des Umraums. Ein Netz aus Wahrzeichen überzieht die Karte der Stadt.
Das berühmte Geburtshaus in der Henley Street bildet das Zentrum. Man kann auch zahlreiche andere Wohnsitze besichtigen. Ihnen allen eignet etwas Uneigentliches. Das Gebäude von Shakespeare-Schwiegersohn John Hall (Hall's Croft) beweist vor allem, dass Ärzte in der Regierungszeit König Jakobs zu einigem Wohlstand und Ansehen gelangen konnten. Woran Shakespeare 1616 aber 52-jährig starb, entzieht sich unserer Kenntnis.
Tod und Teufel
Stratford ist darum bei aller Schönheit verschlossen wie eine Auster. Man sieht bei Besuch der Pilgerstätten Himmelbetten mit Pflöcken an den Seiten, die ein Herausfallen unruhiger Schläfer verhindern sollen. Kleine Buben wurden in den Jahren um 1600 als Mädchen verkleidet. Da männliche Nachkommen eine sehr viel höhere Mortalität hatten, hoffte man, mit dem Mummenschanz Satan hinters Licht zu führen.
Die Zahl der Besucher wird heuer noch in die Millionen gehen. Im März öffnet eine Ausstellung ihre Pforten (Famous Beyond Words), die mit den kostbarsten Pfunden wuchert. Man wird die erste Folio-Ausgabe der Werke von 1623 bewundern können. In dieser Kompilation der Komödien, Historien und Tragödien sind 18 Werktitel enthalten, die ohne die Bemühungen der Shakespeare-Freunde John Heminge und Henry Condell spurlos verlorengegangen wären.
Das Kerngeschäft von Stratford bleibt aber das Theater. Die Royal Shakespeare Company unterhält in einem Ort mit 25.000 Einwohnern eine Doppelspielstätte von imposanter Größe. Im Swan Theatre finden tausend Besucher Platz, für den Werkraum sind 460 Gäste zugelassen. In der Parklandschaft des (bis vor kurzem Hochwasser führenden) Avon gelegen, ist das Shakespeare-Theatre ein ziegelroter Magnet. Die Company übersiedelt ihre Premieren regelmäßig ins Londoner Barbican Theatre, zuletzt eine vielbejubelte Produktion von Richard II mit David Tennant in der Titelrolle. Man will schließlich auch in der Hauptstadt gesehen werden.
Der augenblickliche Spielplan übt sich in Zurückhaltung. Wendy & Peter Pan läuft aktuell neben Dramatisierungen der Tudor-Romane von Hillary Mantel. Das Fehlen des Schnürbodens macht man mit raffinierten Einbauten wett. Wenn Anne Boleyn und die Schranzen von Gemahl Henry VIII. einander bei Hof umschleichen, züngeln Flammenzungen aus dem Boden. Bald schon huldigt man dem Jahresjubilar. Auf dem Programm stehen ab Ende März die beiden Teile von Henry IV, gefolgt von einer Inszenierung der Beiden Veroneser.
Wer so lange nicht warten will, kann schon jetzt im Souvenirshop des Geburtshauses seinen Hunger nach Shakespeare stillen. Neben Manga-Versionen wichtiger Stücke dominiert Will, das Schwimmentchen, eindeutig das Geschehen. Mit ihm lässt sich Der Sturm bequem im Bidet nachinszenieren. (Ronald Pohl aus Stratford, DER STANDARD, 25.2.2014)