Martin Stoll vom  Investigativ-Projekt "Room 6527": "Das Einzige, was es braucht, ist Zeit, etwas Selbstbewusstsein und das Wissen, dass man auch als Nicht-US-Bürger in den USA interessante Dokumente über sein Land loseisen kann."

Screenshot. room6527

Die "SonntagsZeitung" und "Le Matin Dimanche" publizieren systematisch Die Abhörakten aus "Room 6527". Die bisher geheimen FBI-Akten zeigen, wie die USA in den Jahren 1942 bis 1960 diplomatische Depeschen aus der Schweiz und anderen Staaten systematisch erfassten und dechiffrierten.

Das Investigativ-Projekt "Room 6527", benannt nach dem Raum, in dem die Akten gelagert waren, ist ein aufschlussreiches Beispiel für den Einsatz von FOIA-Anfragen (Freedom of Information Act), für grenzüberschreitende Kooperation und Crowdsourcing. Martin Stoll vom RechercheDesk der Schwesternzeitungen "SonntagsZeitung"/"Le Matin Dimanche" gibt Auskunft über das Making-of.

Kraus: Sie bekamen Einsicht in die bislang unveröffentlichten historischen Abhörakten unter Berufung auf den Freedom of Information Act (FOIA), das US-Informationsfreiheitsgesetz. Wie sind Sie auf die Akten gestoßen und wann haben Sie die FOIA-Anfrage gestellt?

Stoll: Ich bin 2010 auf die Akten gestoßen. Die US-Organisation Governmentattic hat ein sehr detailliertes Inhaltsverzeichnis zu den Akten im Secret-File-Room erstellt.

Bei meinem Antrag auf Akteneinsicht  beschränkte ich mich auf Aspekte, die  in einem mehr oder weniger direkten Zusammenhang mit der Entschlüsselung diplomatischer Depeschen standen. Das Thema war damals in der breiten Öffentlichkeit noch wenig verankert, und Edward Snowden war ein anonymer Mitarbeiter der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton und Mitarbeiter des NSA-Büros auf Hawaii.

Kraus: Hatten Sie Unterstützung von US-Kollegen beziehungsweise wie schwierig ist es für nicht US-Journalisten, FOIA-Requests zu stellen?

Stoll: Das war ganz einfach. Über den FOIA Letter Generator des Reportes Comitee for Freedom of the Press stellte ich den Antrag (rcfp.org/foia) - und dann trafen die Dokumente - insgesamt über 5000 Seiten - während drei Jahren bei mir ein. Die US-Administration schickte mir CD-Roms und ganze Papierpacken. Es war eindrücklich, wie die FOIA-Maschine der US-Administration arbeitete. Nur am Anfang hatte ich - sehr punktuell - Kontakt mit der US-Verwaltung, danach ging das praktisch automatisch. Hilfe von US-Kollegen benötigte ich nicht. Das Einzige, was es braucht, ist Zeit, etwas Selbstbewusstsein und das Wissen, dass man auch als Nicht-US-Bürger in den USA interessante Dokumente über sein Land loseisen kann.

Kraus: Wie viele Kolleginnen und Kollegen - aus wie vielen Redaktionen - haben bei der Aufarbeitung der Unterlagen mitgearbeitet?

Stoll: Nachdem die Akten bei uns waren, bereitete ich sie in fünf Wochen auf. Mein Kollege Julian Schmidli arbeitete an der Website, ich beschäftigte mich mit der Analyse des Swiss-Files und Titus Plattner nahm Kontakt zu ausländischen Medien auf, mit denen wir in der Folge kooperierten: "Le Monde" (Frankreich), "Süddeutsche Zeitung" (Deutschland), "L'Espresso" (Italien), "Aftenposten" (Norwegen) und Sveriges Radio (Schweden).

Mir wurde rasch bewusst, dass die Analyse und die Einbettung der historischen Akten aufwändig sind. Deshalb entschlossen wir uns, jene Files, die nicht die Schweiz betreffen, in einem Crowdsourcing-Projekt aufzuarbeiten und der interessierten Öffentlichkeit über die Website zur Verfügung zu stellen. Das war ein sehr schlankes Projekt, das vor allem In-House in wenigen Tagen realisiert wurde und uns wenige hundert Euro (vor allem Übersetzungskosten) gekostet hat.

Kraus: Die Akten online zu stellen und mit anderen Redaktionen zusammenzuarbeiten - stieß dieses Vorgehen intern auf Zustimmung?

Stoll: Dieses Vorgehen war im Haus unbestritten. Wir haben im Zusammenhang mit dem Offshore-Leaks-Projekt gute Erfahrungen mit internationalen Kooperationen gemacht.

Kraus: Können wir auch Informationen zu Österreich erwarten und kooperieren Sie mit einem österreichischen Medium?

Stoll: In den Secret-Room Files gibt es - soweit wir wissen - keine Österreich-Akte. (Daniela Kraus, derStandard.at, 24.2.2014)