"do you read me?!" steht groß auf dem Fenster, dahinter sind eigenwillige Objekte zu sehen, die wie aus Zement gegossen wirken. Ist es eine Galerie? Ist es eine Buchhandlung? Beides! Die "Galerie Krome" geht nahtlos in einen schönen, hellen Raum über, in dem man Zeitschriften und Bücher an einem großen Tisch lesen, aber auch kaufen kann. "Reading Room" heißt das in Berlin so schön auf Neudeutsch. Die Schwerpunkte liegen auf Design, Kunst und Kultur. Darüber hinaus wurden bekannte Persönlichkeiten nach ihren Lektüren befragt, die in Form von kleinen Leselisten aushängen.
So erfahren wir zum Beispiel, was die Lieblingslektüre von Designer Konstantin Grcic ist und warum: zum Beispiel Selected Writings von Dan Graham, Le Corbusier oder Aglaia Konrad. Die empfohlenen Bücher und Magazine liegen alle auf, die meisten kann man auch kaufen. Nur wenige, vergriffene Exemplare wie Madonnas Sexbuch sind unverkäuflich. Die kleinen, papierenen Leselistenleporellos sind an die Wand gepinnt und jeder darf sich ein Exemplar mitnehmen.
Imagekorrektur in der "Potse"
Dies ist nur ein Beispiel für die vielen neuen Geschäftsideen, die an der Potsdamer Straße, von den Berlinern salopp "Potse" genannt, in den letzten Jahren entstehen. Die Straße, eine wichtige Verkehrsverbindung in Richtung Potsdamer Platz, hatte schon bessere Zeiten hinter sich. Der Straßenstrich in den Quergassen trug das Seine zum üblen Leumund bei. Das ändert sich gerade. Viele Kreative sind "satt mit Mitte", jenem Stadtteil, der nach dem Mauerfall bald dem Prenzlauer Berg den Rang in Sachen Hippness abgelaufen hatte.
Dort sind die Mieten immens gestiegen. Jetzt entdecken die Kreativen, die Jungen und Schicken die Potse, die in den 1920ern bereits ein Ort der Galerien und Antiquitätenhändler war, neu für sich. Wo einst die Redaktion des Tagesspiegel untergebracht war, werkt jetzt die Modistin Fiona Bennett an ihren ausgefallenen Kopfbedeckungen. Im Hinterhof residiert Andreas Murkudis mit einem Store, der Schönes und Teures mit gelassenem Understatement vereint. Dass der Besucherin ein Türsteher Einlass gewährt, mutet in dem postindustriellen Ambiente ein wenig seltsam an. Wo einst die Druckerei des Verlages untergebracht war, gibt es jetzt Kleidung von Maison Margiela, Celine oder Dries van Noten. Auch die Kosmetiklinie der Österreicherin Susanne Kaufmann kann man hier erwerben, aber auch Schmuck und Möbel.
Gastrobetriebe mit Namen wie "Maultaschen Manufaktur", "Queen of Muffins" oder "Die Löffelei" zeigen die schon seit Längerem voranschreitende Gentrifizierung. Eine ganze Menge Galerien haben sich hier angesiedelt, ein Galerientag mit aufeinander abgestimmten Vernissagen steht aber noch aus. Das Gallery Weekend hingegen findet bereits seit zehn Jahren statt, der nächste Termin ist im Mai diesen Jahres. Zur abc art berlin contemporary bzw. der Berlin Art Week im Herbst gibt es ebenfalls einen Gemeinschaftstermin der Galerien.
Einen guten Überblick über das Angebot an Kunst, Shopping und Restaurants bekommen Besucher und Touristen auf www.potse.org. Potse wurde von der Druckerei "Gallery Print" und "do you read me?!" gegründet und wird zweimal jährlich auch als außerformatiger Flyer, lang und facettenreich wie eine Straße und ihre Geschichte, gedruckt und liegt zur freien Entnahme auf. (Tanja Paar, derStandard.at, 24.2.2014)
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