Der autoritäre Machthaber ist gestürzt; das Parlament, die Polizei und andere staatlichen Einrichtungen haben die Seite gewechselt, und die zu Unrecht inhaftierte Oppositionsführerin kommt frei.

Vieles an diesem Wochenende deutet daraufhin, dass die Ukraine nach all dem Blutvergießen doch den halbwegs friedlichen Übergang zu einem demokratischen, nach Europa orientierten Staat schaffen könnte. Aber bevor das Happy End allzu offen gefeiert wird, muss man sich der vielen Risiken bewusst sein, mit denen das riesige Land am Rande Europas noch konfrontiert ist:

In Kiew und anderswo herrscht politisches Chaos. Noch ist unklar, ob der vom Parlament am Samstag offiziell abgesetzte Präsident Wiktor Janukowitsch seine Machtbasis komplett verloren hat oder vom Osten der Ukraine, wo er sich hin zurückgezogen hat, seine Unterstützer weiter dirigieren kann. Seine Weigerung zurückzutreten ist kein gutes Omen. Und selbst wenn er aus dem Spiel ist, droht Gefahr durch die Zerstrittenheit der Opposition. Nur die Feindschaft zu Janukowitsch hat sie bisher zusammengehalten.

Dem Staat droht der Bankrott

Die ukrainische Wirtschaft liegt darnieder, dem Staat droht der Bankrott. Wie schon im arabischen Frühling erhoffen sich die Menschen, die auf die Straße gingen, vom Aufstand eine rasche Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Doch die wird wohl auf sich warten lassen, weil die Unruhen die gesamte Wirtschaft massiv geschädigt hat.

Die Milliardenhilfen, die nun vom Westen gefordert werden, dürften ebenso ausbleiben. Weder haben Europa und die USA das Geld, um ein so großes Land zu sanieren, noch trauen sie, dass Hilfsmittel auch wirklich ankommen und nicht in dunklen, korrupten Kanälen verschwinden.

Was plant Putin?

Und schließlich bleibt der russische Präsident Wladimir Putin im Spiel. Dass der Aufstand in Kiew seine olympischen Winterspiele überschattet hat, kann er vielleicht noch verschmerzen. Aber der Umsturz in der Ukraine kann auch bei ihm zu Hause Schule machen und seine Herrschaft direkt bedrohen. Putin hat kein Interesse daran, dass die Ukraine nun einen friedlichen, demokratischen Weg geht. Und er besitzt viele Mttel, um dies zu verhindern.

Die kommenden Tage werden darüber entscheiden, ob dieser Kiewer Vorfrühling den Traum der leidgeplagten Ukrainer nach Demokratie und etwas Wohlstand erfüllen kann. Die tapferen Männer und Frauen, die mitten im Winter für Europas Werte gekämpft haben, hätten es sich verdient. Aber die Region, die der US-Historiker Timothy Snyder in seinem Buch über die Gräuel des Zweiten Weltkriegs „Bloodlands“ genannt hat, ist auch immer für böse Überraschungen gut. (Eric Frey, derStandard.at, 22.2.2014)