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Herr Kasper macht sich Gedanken: "Ich träume immer noch vom tief verschneiten Holzhaus, vor dem die Spiele stattfinden."

Foto: ap/trovati

Standard: Sind Sie überrascht, dass die Spiele bis jetzt so reibungslos funktioniert haben?

Kasper: In den vergangenen sieben Jahren war ich 14-mal hier. Man hat nicht geglaubt, dass das rechtzeitig fertig wird. Es hat 10.000 kleine Probleme gegeben. Zum Beispiel hat man nicht gewusst, was Winterreifen sind. Im Europacup vor vier Jahren mussten die Athleten die letzten vier Kilometer zu Fuß gehen, weil die Busfahrer zum ersten Mal Schnee auf der Straße gesehen haben. Es waren zwei Zentimeter. Und siehe da, beim nächsten Besuch in Sotschi gab's keinen Bus und kein Taxi ohne Winterreifen. Wir haben uns amüsiert. Es war Juli.

Standard: Mit welchen Problemen rechneten Sie?

Kasper: Mit Problemen beim Transport, aber das haben sie wirklich hervorragend gelöst. Die Straßen sind geradezu leer, und der Zug zahlt sich wirklich aus. Mit unserem Teil, also mit allem, was Ski ist, hatten wir keine Probleme. Wir haben auch dafür gesorgt, dass sie Leute aus dem Ausland geholt haben, Österreicher und Franzosen und so weiter, die die technische Arbeit gemacht haben. Am Anfang gab es Schwierigkeiten mit dem Extreme Park, weil dort die Hänge rutschen. Das Gleiche gilt für die Schanzen.

Standard: Sie haben gesagt, Sie fürchten, dass die Schanze in 20 Jahren am Meer steht. Wundern Sie sich, dass sie noch ganz oben steht?

Kasper: Jetzt nicht, es wurden unglaublich viele Zementinjektionen gemacht. Das ist gewaltig. Das kostet natürlich viel.

Standard: Macht es Sinn, Schanzen an so einer Stelle zu errichten?

Kasper: Darüber kann man diskutieren. Als wir zum ersten Mal in der Gegend waren mit der IOC-Kommission, haben sie uns gesagt, die Schanze wird unten im Tal gebaut, weil dort kein Wind weht. Jetzt ist sie nach oben gerutscht. Ich hoffe, dass sie nicht wieder hinunterrutscht. Denn beim Skispringen rechnen sich die Russen eine Zukunft aus. Sie wollen hier mit der Akademie alles zentralisieren. Was man da hingebaut hat, ist gewaltig.

Standard: Es wurde auch gewaltig gebaggert.

Kasper: Schauen Sie sich 120 Jahre alte Fotos von einem Wintersportort in Österreich oder der Schweiz an. Da wurden viele Umweltsünden gemacht. Man war auch noch nicht sensibilisiert. Die haben das jetzt in sechs Jahren hingebracht. Hut ab.

Standard: Mit Heeren von Arbeitern. Da gab es Diskussionen über deren Bezahlung.

Kasper: 80.000 sollen es sein. Jetzt wurde ein Teil, vielleicht auch das Ganze nachbezahlt. Die Russen, die ich kennengelernt habe, sind wirklich stolz auf ihre Olympischen Spiele. Damit meine ich nicht die Führungselite, das ist etwas anderes.

Standard: Es hat Aufregung gegeben nach einem TV-Interview, in dem Sie im Zusammenhang mit Korruption gesagt haben sollen, dass hier 30 Prozent der Gelder versickern. Der Chef der russischen Eisenbahn war empört und drohte mit einer Verleumdungsklage. Was ist daraus geworden?

Kasper: Ich habe das nie so gesagt. Ich habe gesagt, es gibt Leute, die sagen, dass dreißig Prozent versickern. Dann hat es ein Amerikaner falsch übersetzt, und in Moskau ist das Feuer ausgebrochen. Eine Woche später hat Putin im Fernsehen gesagt, er habe sich das wörtlich übersetzen lassen, und es sei in Ordnung. Die Geschichte ist für mich vorbei. Aber im Baugewerbe gibt es überall Korruptionsfälle, ob in Österreich, Katar oder der Schweiz. Die EU schätzt, dass dadurch jährlich 120 Milliarden Euro verlorengehen.

Standard: Wird es in Zukunft Weltcupveranstaltungen in Sotschi geben?

Kasper: Im Freestyle und Snowboard sicher. Im Skispringen vielleicht, im alpinen Bereich ist das nicht so einfach. So schön die Berge auch sind, fehlen nachher für Wettkämpfe die Experten, die wurden jetzt aus ganz Russland eingeflogen. Die gehen nach Hause. Und es gibt auch zu viele Bewerber für Weltcuprennen.

Standard: Bedrohen Slopestyle und Halfpipe den klassischen alpinen Skilauf? Im Extreme Park herrschte die bessere Stimmung.

Kasper: Was die Zuschauer im Stadion betrifft, sicher. Man sieht ja auch viel mehr, bei den Alpinen sieht man den letzten kurzen Hang. Aber wenn wir dann weltweit die Einschaltquoten anschauen, sieht es anders aus. Das Interesse an Snowboard und Freestyle ist gering. Es werden alle Weltcups produziert, doch die Fernsehstationen nehmen das nicht einmal gratis. Für die Winterspiele haben diese Sportarten sicher eine Belebung gebracht. Für 2018 planen wir mit dem alpinen Teambewerb und dem Mixed-Skispringen.

Standard: Kann Olympia immer weiter wachsen?

Kasper: Wir sind im Winter am Limit. Nicht vom Wettkampfprogramm her, sondern vom Gesamten. Wo bringen sie 10.000 Medienvertreter unter? Die Spiele fressen sich selber auf mit dem Gigantismus. Was zu viel ist, ist zu viel. Ich bin ein konservativer Mann und träume immer noch vom tief verschneiten Holzhaus, vor dem die Spiele stattfinden. Ich weiß, dass das eine Illusion ist. Aber wir können zurückgehen.

Standard: Wenn man zurückwill, warum hat man dann die Spiele nach Sotschi und die nächsten nach Pyeongchang vergeben?

Kasper: In Südkorea wird der Gigantismus ein bisschen gedämpft. Das wird ein Schritt zurück. Die Hotels sind schon dort, im Skigebiet fehlt nur die Abfahrt. Die Eishallen fehlen auch, aber die können kleiner sein, wenn 5000 Zuschauer hineinpassen, reicht das.

Standard: Man hat aber prinzipiell nicht den Eindruck, dass es bei Olympia um Bescheidenheit geht.

Kasper: Muss es ja nicht. Aber das Schlimmste und gleichzeitig Gute für das IOC ist, dass die gesellschaftliche Bedeutung der Olympischen Spiele wächst. Dadurch werden sie auch viel angreifbarer. Jeder will die Plattform ausnützen. Und die Ausnützerei auf dem Rücken des Sports ist katastrophal. Das wiederum hat man selber produziert, indem man die Spiele so aufgeblasen hat.

Standard: Sehen Sie eine Konkurrenz zwischen Schneesport und Eissport?

Kasper: Die war immer da. Die Eissportarten wollen in die Großstädte und wir in die Berge. Der Eissport will immer großartige Hallen haben, aber nachher weiß man nicht, was man damit anfangen soll.

Standard: Mit Sprungschanzen ist das auch schon passiert.

Kasper: Ich erinnere mich an Turin 2006: wunderschöne Anlage, dann hat einer am letzten Tag die Tür geschlossen, und seither finden sie den Schlüssel nicht mehr. Das ist meine Befürchtung.

Standard: Und wie sieht es mit der Befürchtung aus, dass der Fußballweltverband Fifa die WM 2022 in Katar in den Winter verlegt?

Kasper: Na ja. Ich wundere mich, dass Fußballfunktionäre drei Jahre lang brauchen, um rauszufinden, dass es in Katar im Sommer warm ist. Eine Überschneidung mit den Winterspielen wäre Blödsinn. Auch wenn die Ereignisse hintereinander stattfinden, würden beide darunter leiden. Alle sieben Wintersportverbände haben einen Brief geschrieben, dass sie geschont werden. Aber die Fifa will nicht auf uns hören.

Standard: Sie kennen Fifa-Präsident Sepp Blatter doch recht gut.

Kasper: Schon seit 40 Jahren. Aber ich habe Angst, dass die Verschiebung innerhalb der Fifa zu einem Politikum wird vor den Neuwahlen. Die Fakten spielen dann überhaupt keine Rolle mehr. Ich mache mir keine Illusion.

Standard: Interessieren Sie sich für Fußball?

Kasper: Ich war noch nie bei einem Fußballspiel. Doch, einmal, Österreich gegen Schweiz. Die Skimannschaften spielten. Eines kann ich garantieren. Wir werden die Ski-WM nicht als Revanche im Sommer in Katar durchführen. (Benno Zelsacher - DER STANDARD, 22.2.2014)