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Paartherapie als heiteres Drei-Personen-Stück.

Foto: dpa/David Ebener

Wir befinden uns im Arbeitsraum eines Paartherapeuten, der hier seine Klienten betreut. Der Raum sollte nicht nach "Arbeit" riechen, sondern entspannte Atmosphäre vermitteln. Dieser Zwang zur Ungezwungenheit scheint sich gleichmäßig auf das gesamte Mobiliar zu verteilen. Wir blenden uns in den offensichtlichen Beginn eines Beratungsgesprächs ein. Die beiden Klienten, Joana, eine Frau um die 40, und Valentin, ein unwesentlich älterer Mann, haben soeben Platz genommen. Sie sitzen gut getrennt voneinander, zwischen ihnen stehen zwei leere Stühle. Nichts deutet darauf hin, dass einer den anderen kennt oder etwas von ihm wissen will. Der Berater, ein Mann zwischen 40 und 45, sitzt den beiden Personen gegenüber - im je gleichen Zuneigungswinkel, der geschulte Ausgewogenheit zwischen Nähe und Distanz signalisiert. Er wirkt teilnahmefreudig und, im Gegensatz zu den Klienten, prächtig gelaunt. Seine interessierten Blicke schweifen von einer Person zur anderen. Im Raum herrscht absolute Stille. Die beiden Besucher konzentrieren sich auf den Berater und scheinen mit Anspannung und Nervosität auf seine einleitenden Worte zu warten. Allein diese Worte fallen nicht. Je länger die unerklärliche Schweigepause andauert, desto peinlicher fühlen sich die beiden davon berührt. Bis es Valentin schließlich nicht mehr aushält.

Valentin: Also, Verzeihung, ich will wirklich nicht ungeduldig sein, aber können wir dann ... langsam ... beginnen?

Berater: (hocherfreut) Jaja, aber sicher, natürlich! Sehr gerne!

Der Berater mustert die Klienten erwartungsvoll. Schweigepause.

Joana: Sie meinen vielleicht, dass einer von uns beiden ...

Valentin: Entschuldigung, Herr ... äh ... Magister, aber wir würden uns etwas leichter ... oder sogar deutlich leichter ... jedenfalls würden wir uns leichter tun, wenn Sie selbst ... vielleicht, wenn es Ihnen keine allzu großen Umstände macht ...

Berater: Bei mir müssen Sie sich wirklich nicht entschuldigen.

Schweigepause.

Berater: Ich dachte nur, Sie kommen vielleicht mit einem Anliegen zu mir.

Valentin: (zögerlich) Doch.

Berater: Aber Sie wollen nicht darüber reden.

Joana: (bestimmt) Doch, doch.

Berater: Was hindert Sie daran?

Schweigepause.

Valentin: Sie müssen wissen, Herr äh Magister, ich bin in solchen Dingen ... noch eher unerfahren.

Berater: In welchen Dingen, Herr Dorek?

Joana: Im "darüber reden", meint er. Im Reden überhaupt.

Berater: Und Sie, Frau Dorek?

Joana: Ich? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo ich anfangen soll.

Valentin: Meine Frau weiß nicht, wo sie beginnen soll, mir ... sozusagen ... den Kopf zu waschen. Das ist nämlich ihr Hauptanliegen.

Joana: Mein Mann kennt alle meine Anliegen, meine Hauptanliegen, meine Nebenanliegen, alle meine Anliegen. Und er kennt sie immer schon vor mir.

Der Berater lächelt vergnügt, als wären charmante Komplimente gefallen.

Berater: (an Joana gerichtet) Und was, denken Sie, ist das Hauptanliegen Ihres Mannes?

Joana: Ich schätze einmal, die nächsten eineinhalb Stunden zu überstehen. Kann ich mir vorstellen.

Valentin: Wie Sie sehen, gibt meine Frau bereits ihr Bestes, also sie bemüht sich redlich, mir behilflich zu sein.

Berater: (lachend, amüsiert an beide gerichtet) Kurze Zwischenfrage: Sind Sie sicher, dass Sie zu mir wollen?

Valentin: Es tut mir leid, Herr äh Magister. Sie müssen wissen, wir hatten auf dem Weg hierher leider einen ...

Joana: ... heftigen ...

Valentin: ... kleinen ...

Joana: ... Streit ...

Valentin: ... Disput. Das ist der Grund für die etwas ... äh ... angespannte Verfassung meiner Frau.

Joana: Es war ein Fehler, dass wir gemeinsam gekommen sind. Normalerweise haben wir getrennte Anfahrtswege. Normalerweise gehen wir überhaupt getrennte Wege. Bei getrennten Wegen tun wir uns leichter, darin sind wir geübter. Nicht wahr, Valentin?

Berater: (freundlich) Ich frage Sie ganz offen: Wollen Sie bleiben, oder haben Sie sich's anders überlegt? Es ist keine Schande, Sie wären nicht die Ersten, und ich bin Ihnen auch keineswegs böse, wenn Sie auf dem Weg hierher vielleicht zur Einsicht gelangt sind ...

Joana: Natürlich bleiben wir, jetzt, wo wir schon einmal hier sind.

Der Berater mustert den Ehemann, der eine passive Haltung eingenommen hat.

Valentin: Tja.

Berater: "Tja", im Sinne von?

Joana: "Tja" im Sinne meines Mannes. "Tja" heißt bei ihm: "Ja, aber ich übernehme keine Verantwortung." "Tja" ist quasi seine Lebensphilosophie.

Valentin: Also ich denke ... wir bleiben. Meine Frau wird sich schon wieder ... beruhigen ... ein bisschen ... wenigstens ... vielleicht.

Der Berater amüsiert sich kurz und klatscht dann einmal in die Hände, als ob er sich selbst ein Startzeichen geben würde.

Berater: (langsam, feierlich, im Ton einer Wahlrede) Liebe Frau Dorek, lieber Herr Dorek, Sie haben also gemeinsam, ich betone, "gemeinsam" beschlossen, bei mir in Paarberatung zu gehen. Wir haben telefonisch vereinbart, dass Sie am Ende der heutigen Sitzung entscheiden, ob Sie meine Dienste weiter in Anspruch nehmen wollen oder nicht. Ich freu mich jedenfalls, dass Sie zu mir gefunden haben. Wie problematisch auch immer Ihre gemeinsame Anreise war, und wie auch immer es um Ihre Beziehung bestellt sein mag - allein, dass Sie hier zu zweit sitzen, beweist mir, dass es eine Verbundenheit zwischen Ihnen gibt.

Wie stark diese Verbundenheit ist und wofür sie ausreicht, kann, will und werde ich nicht beurteilen. Bitte erwarten Sie also nicht, dass ich hier den Schiedsrichter spiele und dass ich Ihnen Vorschriften mache oder auch nur Ratschläge erteile, was Sie zu tun oder zu unterlassen haben. Wenn Sie sich hier einfach nur etwas von der Seele reden wollen, dann liegt das ganz allein an Ihnen beiden. Wenn Sie etwas retten, bewahren oder festigen wollen, dann liegt das ganz allein an Ihnen beiden. Wenn Sie etwas verändern oder verbessern wollen, dann liegt das ganz allein ...

Joana: (unterbricht) An uns beiden! An beiden!

Berater: Ja, richtig. Wenn Sie etwas beenden oder neu beginnen wollen, dann liegt auch das natürlich ganz allein an Ihnen beiden. Ich werde mein Möglichstes tun, Ihnen zu helfen, klarer zu erkennen, was es ist, das Sie wollen - was jeder Einzelne für sich will, aber vor allem, was Sie gemeinsam wollen. Und wie es mit Ihnen weitergehen kann.

Joana: Ja, fein, das wäre interessant.

Berater: Ich werde versuchen, das Sie Verbindende ins Auge zu fassen und hervorzustreichen, die Übereinstimmung, nicht die Diskrepanz, das Licht und nicht den Schatten. Aber zunächst möchte ich Sie gerne fragen, was Sie sich selbst von der Beratung im Idealfall erhoffen. Darf ich mit Ihnen beginnen, Frau Dorek: Was, glauben Sie, wäre wohl das perfekte Ergebnis der Beratung für Ihren Mann, sodass er sagen würde: "Das hat sich wirklich ausgezahlt"?

Joana: Ich glaube, es ist für die Stimmung hier im Raum besser, Sie fragen ihn selbst. Er ist ja ausnahmsweise anwesend.

Berater: Das werde ich tun, aber zunächst möchte ich Sie um Ihre Einschätzung bitten, Frau Dorek, was, denken Sie, wäre das perfekte Beratungsergebnis für Ihren Mann?

Joana: Das perfekte Ergebnis? - Wenn sich seine Annahme bestätigt, dass er, dass er ... fehlerlos, ja, dass er unfehlbar ist.

Valentin: Ich bin nicht unfehlbar, das weißt du ganz genau.

Joana: Ja, ganz genau, das weiß ich. Aber du weißt es nicht. Er weiß es nicht. Er geht davon aus, dass er unfehlbar ist, und deshalb glaubt er, dass er einfach weiterleben kann wie bisher. Ja, weiterleben wie bisher, das wäre hier das perfekte Ergebnis für meinen Mann, wo er sagen würde: Die Beratung hat sich für mich wirklich ausgezahlt.

Valentin: Aber das stimmt doch nicht.

Joana: Doch, er darf weiterleben wie bisher, und ich ergehe mich in Demut und Dankbarkeit, seine geliebte Frau zu sein. Seine ehemals geliebte Frau. Und heute wenigstens noch Vollzeitmutter seiner Kinder. So sieht er es nämlich. So sieht er mich nämlich. Wenn er mich überhaupt noch sieht.

Valentin: Stimmt doch gar nicht.

Joana: Doch, du lebst weiter wie bisher. Er lebt also weiter wie bisher. Und ich übernehme selbstverständlich weiterhin jede familiäre oder sonstige Last. Ja, ich nehme ihm jede Last des Alltags von der Schulter, sollte sich einmal irrtümlich eine dorthin verirren. Valentin hebt den Arm in Richtung seiner Frau und streckt den Daumen nach oben.

Berater: (anscheinend unbeeindruckt, wendet sich dem Mann zu) Herr Dorek, was, glauben Sie, wäre wohl das beste Ergebnis der Beratung für Ihre Frau, sodass sie sagen würde: "Das hat sich tatsächlich gelohnt"?

Valentin: Wo sie sagen würde, das hat sich gelohnt? Hm. (Er denkt angestrengt nach.) Wenn ich am Ende der Schuldige bin, der alleinige reumütige Schuldige. Dann hat es sich für sie gelohnt. Wenn ich vor ihr auf die Knie falle und sage: Liebling, verzeih mir ...

Joana: (unterbricht) Das ist Utopie. Du sagst nicht Liebling. Er sagt nicht Liebling. Er sagt niemals Liebling. Liebling, das war einmal.

Valentin: Wenn ich sage: Liebling, verzeih mir ...

Joana: (unterbricht) Und er sagt auch nicht "verzeih mir".

Valentin: Joana, würdest du mich bitte ...

Berater: (unterbricht) Ja, das wäre nett, Frau Dorek.

Joana: Entschuldigen Sie, ich bin ein bisschen ...

Berater: Ja, das ist verständlich.

Valentin: Wenn ich ... wenn ich sage: Liebling, verzeih mir, ab heute wird alles anders. Ich werde zu meinen bisherigen Pflichten nun auch noch deine Pflichten dazu übernehmen, und auch unsere gemeinsamen Pflichten, also alle Pflichten. Ich werde alle Pflichten übernehmen. Und du kannst dafür tun und lassen, was du willst. Das wäre das ideale Ergebnis für sie. Mir gehören die Pflichten, ihr gehören die Neigungen, alle, auch meine. Ich trete sie an sie ab.

Joana: Valentin, auf deine "Neigungen" kann ich verzichten! Ersparen wir uns hier Kostproben davon.

Valentin: Sie müssen wissen, Herr äh Magister, wir haben derzeit nicht unsere beste Phase.

Berater: Glauben Sie mir, kein Paar, das hierherkommt, hat seine beste Phase, Herr Dorek. (Pause.) Frau Dorek, jetzt haben Sie also gehört, was Ihr Mann sagt. Was, meinen Sie, wäre nun tatsächlich das ideale Beratungsergebnis für Sie?

Valentin: Du kannst zur Abwechslung ruhig einmal ernsthaft antworten, Joana.

Joana: Das ideale Ergebnis? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wir sind von Idealen derzeit Lichtjahre entfernt. Mir würden schon ein paar Schritte in die richtige Richtung genügen.

Berater: Und welche Richtung wäre die richtige Richtung?

Valentin: Ihre Richtung.

Joana: Spricht der Richtungslose.

Berater: (anerkennend an beide) Kompliment, in der Polemik sind Sie ein eingespieltes Team. Sie haben eine außergewöhnlich lebendige Streitkultur auf hohem Niveau.

Joana: Danke! Ich warne Sie nur vor dem kulturellen Verfall. Wenn sich mein Mann einmal zu sich selbst bekennt, sinkt das Niveau rapide unter den Meeresspiegel.

Valentin: Das Niveau kann gar nicht tief genug sein. Meine Frau findet immer noch einen Untergriff.

Kurzer Waffenstillstand.

Berater: Dann komme ich also zum Abschluss meiner ersten Fragerunde: Herr Dorek, was wäre wohl das beste Beratungsergebnis für Sie, sodass sie sagen würden: Es hat sich wirklich ausgezahlt, hierhergekommen zu sein?

Valentin: (schließt die Augen, hebt den Kopf, verschränkt die Hände und richtet sie beschwörend empor, als würde er um Erbarmung flehen) Frieden!

Joana: (lakonisch) Frieden.

Berater: (mit Dynamik und Tatendrang vermittelnden Gesten) Frieden! Sehr schön. Frau Dorek, Sie erhoffen sich ein paar Schritte in die richtige Richtung. Herr Dorek, Sie wünschen sich Frieden. Mein Vorschlag: Bemühen wir uns hier um ein paar gemeinsame Schritte in eine friedliche Richtung. Dazu möchte ich Sie gerne zu einer Übung einladen. Diese Übung ... (Daniel Glattauer, Album, DER STANDARD, 22./23.2.2014)