Miklós Bánffys Siebenbürger Trilogie liefert zuweilen auch Schlüssel, um das Ungarn von heute zu begreifen.

Foto: Gräfin Katalin Bánffy

Warum soll uns eine Romantrilogie, die von 1904 bis 1914 spielt und im Original ab 1934 erschienen ist, interessieren? Zunächst einmal, weil Die Schrift in Flammen und Verschwundene Schätze von Miklós Bánffy eintauchen lassen in eine unbekannte Welt, die für das Verstehen Europas im 20. Jahrhundert nicht unwichtig ist.

Der siebenbürgische Adel im letzten Friedensjahrzehnt der Donaumonarchie - das war ein eigener Kosmos, völlig verschieden vom ungarischen Landadel, der Gentry. Uralte Tradition - etwa ein Tanz aus der Biedermeierzeit, der nur noch in Siebenbürgen gepflegt wurde - ging in diesem Milieu mit moderner Technik und neuesten englischen Möbeln Hand in Hand. Siebenbürgen war keine Randzone, sondern ein europäischer Zentralraum. Bánffys Trilogie lässt den Glanz dieser faszinierend fremden Welt aufleuchten, ohne deren Schattenseiten zu verschweigen: den brutalen Umgang mit Dienstmädchen oder die Ausbeutung der Bauern.

Ein breites Panorama von Umgangsformen, Konversationen, Liebesverhältnissen und Generationenbeziehungen wird ausgemalt, authentisch, denn der Verfasser kommt selbst aus dieser Welt. Im Nachwort zum ersten Band hat der Übersetzer Andreas Oplatka die Verwobenheit von Fiktion und autobiografischen Elementen gezeigt. Miklós Bánffy war 1912 bis 1918 Intendant der Budapester Oper und des Nationaltheaters, machte sich aber vor allem als Politiker einen Namen; 1921/22 brachte er es zum ungarischen Außenminister. 1926 kehrte er nach Siebenbürgen zurück, wo dann die Trilogie entstand. Gestorben ist Bánffy in Budapest - 1950, völlig verarmt im kommunistischen Ungarn, das sein Werk bis in die 1980er-Jahre totschwieg.

Die Romane verarbeiten auch Erfahrungen des Politikers und machen Hintergründe der damaligen Politik sichtbar. Das konfliktträchtige Ineinander von Monarchie und demokratischen Elementen wird sichtbar, die Korruption und der ungarische Hang zur kompromisslosen gegenseitigen Bekämpfung der politischen Parteien. Manchmal liefert die Trilogie, die von der Verschränkung einer tragischen Liebesgeschichte mit einem Gesellschaftspanorama lebt, auch Schlüssel, um das Ungarn von heute zu begreifen. Ginge es nur um diese Inhalte, bräuchte man allerdings keinen Roman. Dazu wird er erst durch seine Sprache, und die erreicht ihre Höhepunkte, wenn er Landschaften und Stimmungen beschreibt. Dass sich das auf Deutsch in einer fließenden Klarheit liest, die nichts Antiquiertes hat, ist dem Übersetzer Andreas Oplatka zu danken. Nie kommt da ein falscher Ton auf, nie stört ein unpassendes Adjektiv. Gut hat der Übersetzer daran getan, die Liebesgeschichte tendenziell zu entsentimentalisieren, sodass sie nicht in die Nähe von trivialen Romanen und Filmen gerät.

Allerdings ist der 1873 in Klausenburg, dem ungarischen Kolosvár und heute rumänischem Cluj-Napoca geborene Bánffy ein Roman-Architekt des 19. Jahrhunderts, der von der literarischen Moderne völlig unberührt scheint; mit Zeitgenossen wie Dezso Kosztolányi oder Robert Musil hat er nichts gemein.

Bánffy glaubt an die Erzählbarkeit der Welt. Durch die Romane führt ein auktorialer Erzähler, der nie den Überblick über das weite Panorama von Personen und Situationen verliert und jedem seiner Protagonisten in sein Innerstes schauen kann. Viele Szenen gruppieren sich um zwei junge Grafen, den Parlamentsabgeordneten Bálint Abády und den Musiker László Gyeröffy, die beide in eine unglückliche Liebesgeschichte verstrickt sind - Abády mit der verheirateten Adrienne, Gyeröffy mit der jungen Klára, deren Leben von ihrer Familie geregelt wird. Die Liebe ist in beiden Fällen so dramatisch aussichtslos, wie sie es nur in einem Milieu sein kann, in dem niemand, vor allem keine Frau, über das eigene Leben bestimmen kann.

So spiegelt die vormoderne Erzählweise auf adäquate Weise die vormoderne Lebensweise. Die konstruierte Totalität des Romans bildet die unreflektierte Totalität der Gesellschaft ab, und wie die Figuren im Roman an den Fäden ihres Erzählers baumeln, so hingen die realen Personen der hier geschilderten Gesellschaft im Spinnennetz von Herkunft, Rollen und Sozialriten.

Wem diese im ersten Band zu detailliert erscheinen, der sei versichert: Der zweite Band, der in den Jahren 1906 bis 1909 spielt, ist von der ersten Seite an geprägt von der Dramatik und Relevanz des Geschehens, und die Dynamik reißt nicht ab bis zum bitteren Ende. Genial ist die Eröffnungsszene, der sich später kontinuierlich weiterentwickelnde Blick in das Budapester Parlament. Verbalradikalismus, leeres nationales Pathos und uneingeschränkter Parteienhickhack führen zur Selbstlähmung, verunmöglichen den Blick auf die internationale Politik und führen, in heutiger Diktion gesprochen, zu totaler Politikverdrossenheit.

Von Anfang an ist die Lage explosiv: innenpolitisch, weil die Koalitionsregierung auf einer Lüge basiert - einem geheimen Pakt mit dem Hof; außenpolitisch, weil Österreich-Ungarn zunehmend von Gegnern eingekreist wird, die für einen Krieg besser gerüstet sind.

Miklós Bánffys gleichermaßen von Zorn wie von Nostalgie geprägter Blick auf diese Epoche bildet die Grundlage für eine fein geschliffene Prosa zwischen den Pfeilern einer präzisen Erzählarchitektur - und nach der Lektüre reibt man sich die Augen, verwundert darüber, dass uns dieses Juwel so lange vorenthalten wurde. (Cornelius Hell, Album, DER STANDARD, 22.2.2014)