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Die Explosion der Gewalt in Kiew lässt - vorerst - in den Hintergrund treten, was im übrigen Land geschieht. Proteste und gewaltsame Zusammenstöße gibt es auch im eher prorussischen Osten, etwa in Charkiw. Weit ernster ist die Lage aber im traditionell stark proeuropäisch ausgerichteten Westen. Dort halten Oppositionelle in mindestens sieben Städten, darunter Lviv (Lemberg) und Tscherniwzi (Czernowitz), Verwaltungsgebäude besetzt.

Dass die Ukraine entlang einer imaginären Trennlinie zwischen West und Ost auseinanderbrechen könnte, wurde bisher allgemein ausgeschlossen. Seit Russland die "Idee" einer Föderation ins Spiel gebracht hat, und erst recht mit der jüngsten Entwicklung, ist ein Teilungsszenario aber nicht mehr völlig unrealistisch.

Der Kiewer Publizist und Analytiker Mykola Ryabtschuk verweist darauf, dass Umfragen zufolge landesweit mehr als 90 Prozent der Bevölkerung für die nationale Einheit seien. "Ein Auseinanderbrechen kann nur durch Fahrlässigkeit geschehen", sagte Ryabtschuk am Mittwochabend in einer Diskussion im Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM).

Ideologische Trennung quer durch alle Schichten

Es gibt allerdings auch die Vermutung, dass Moskau eine De-facto-Teilung gezielt ins Spiel bringt, um noch mehr Verwirrung zu stiften und einen Vorwand für eine endgültige gewaltsame Niederschlagung der Protestbewegung zu schaffen. In diesem Zusammenhang wird auch für möglich bis wahrscheinlich gehalten, dass das extremistische Lager der Opposition vom russischen und/oder ukrainischen Geheimdienst unterwandert ist: Damit sollten provokative Aktionen initiiert werden, die dann einen massiven Gewalteinsatz durch die Staatsmacht rechtfertigen würden. Die Ereignisse der vergangenen Tage lassen ein solches Szenario nicht abwegig erscheinen.

Aber selbst eine friedliche Teilung der Ukraine wäre ein Gewaltakt. Laut Ryabtschuk ist das Land nämlich in erster Linie nicht geografisch, sondern ideologisch zerrissen: zwischen jenen, die das sowjetische Erbe verkörpern, und jenen, die dieses Erbe ablehnen. Und diese Trennung gehe quer durch alle gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 21.2.2014)