Sotschi - Acht Mal Gold, vier Mal Silber, vier Mal Bronze. Deutschland liegt drei Tage vor Ende der Spiele in Sotschi hinter Norwegen (10/4/7) auf Platz zwei des Medaillenspiegels, kann jedoch mit 16 Medaillen nicht ganz mit den besten Nationen (USA 23, Russland 22, Niederlande 22, Norwegen 21) mithalten und schon gar nicht mit den eigenen Erwartungen.
Die Zahl 30 wurde von Alfons Hörmann, dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), noch eine Woche vor Beginn der Spiele am Schwarzen Meer als Ziel ausgegeben, mittlerweile steht sie auf dem Index. 30 ist eine Zahl, die das Scheitern der 153 Aktiven in Sotschi dokumentiert.
Längst ist klar, dass die Lage des deutschen Wintersports falsch eingeschätzt wurde. Das "Wiederholen der Ergebniskonstellation von Vancouver" war zu ambitioniert. Zehn goldene, dazu 13 silberne sowie sieben bronzene Medaillen gab es bei Olympia 2010 - das wäre nur zu wiederholen, wenn ab sofort alle anderen Nationen ihre Sportler aus Sotschi abziehen würden.
Von 17 auf zwei
Allein im Bob, im Langlauf, im Biathlon und im Eisschnelllauf gewannen deutsche Sportler 2010 in Vancouver 17 Medaillen. Ausbeute in Sotschi bis zum Donnerstag: zwei. Da liegt ein Teil des Problems. Die Bobfahrer sind daran gescheitert, sich anständige Schlitten bauen zu lassen. Die Langläufer hatten bislang Pech, vergaben aber auch zum Teil fahrlässig ihre Medaillenchancen. Die Biathleten haben den Anschluss an die Weltspitze verloren. Claudia Pechstein hätte die Eisschnellläufer retten müssen, sie wird allerdings bald 42.
Bei allem Gold: Die Einbrüche in einigen, vor nicht allzu langer Zeit scheinbar glänzend aufgestellten Wintersportsparten sind sehr dramatisch. Sie stehen zum Teil in einem grandiosen Widerspruch zu den bekannten Vorgaben des DOSB: Der hatte im vergangenen Sommer einen "Korridor" von 27 bis 42 Medaillen vorgegeben als Ertrag der 130 Millionen Euro, die er als Fördergelder an die Fachverbände der Winter- und Sommersportarten verteilt. Über die Verteilung wird nach Sotschi wohl ausführlich gesprochen.
Die deutschen Skicrosser, Vertreter einer der "neuen" Sportarten, haben nach Olympia 2010 mehr Geld zugesprochen bekommen. Das Konzept wurde aber erst im Herbst 2012 genehmigt: viel zu spät. Und um das Geld behalten zu dürfen, "müssen wir liefern", sagt Heli Herdt, beim DSV Leiter der Sparte Ski-Freestyle. Seine Ausbeute bislang: null. Das ist bei den Eisschnellläufern nicht anders. "Wir müssen uns auf Kürzungen einstellen", sagt Günter Schumacher, Sportdirektor der Deutschen Eisschelllauf-Gemeinschaft (DESG).
Null von 66
Bemerkenswert auch: In Sotschi gibt es 98 Entscheidungen, zwölf mehr als in Vancouver, also mehr Möglichkeiten, auf die "30" zu kommen. In zwei dieser neuen Wettbewerbe (Skispringen Frauen, Team-Wettbewerb Rodeln) gab es sogar Gold. Schlimm aber sieht es in den sogenannten neuen Sportarten aus, die seit 1992 in das olympische Winterprogramm aufgenommen wurden. In Shorttrack, Snowboard und eben Ski-Freestyle hat die deutsche Mannschaft in den bisherigen 22 von insgesamt 28 Wettbewerben genau null von 66 Medaillen gewonnen.
Strukturprobleme werden offensichtlich. In vielen Sportarten fehlt es in der Breite an Nachwuchs, der sich öffnende Lücken schnell schließen kann. Die Biathleten haben das bemerkt durch den frühen Abschied von Magdalena Neuner, und die Alpinen werden es zu spüren gekommen, wenn Maria Höfl-Riesch ihre Rennlatten an den Nagel hängt. Die Snowboarder haben nicht einmal eine eigene Halfpipe, um anständig trainieren zu können.
Ob die Zukunft eine rosige wird, darf bezweifelt werden. Der ehemalige Langlauf-Bundestrainer Jochen Behle warnt schon heute: "In vier Jahren wird es noch krasser werden." (sid/red, 20.2.2014)