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Weltkulturerbe. Hinter den bunten Fassaden in Viejo San Juan wird traditionelle Musik aufgeführt. Nach langer Zeit wieder.

Foto: Corbis/Massimo Borchi

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Auf der Suche nach den Wurzeln: Maniok und Kochbananen in Guavate.

Foto: Corbis/Stephen Frink

Master Blender José Sanchez Gavito Díaz in seinem Element.

Foto: Bacardi

Anreise & Unterkunft

Anreise: Flug von Wien nach New York oder Washington, dann weiter nach San Juan, etwa mit United Airlines oder American Airlines.

Unterkunft: In der Altstadt von San Juan gibt es viele charmante Hotels. In Condado Beach wohnt man nobel mit Strandzugang, etwa im The Condado Plaza Hilton.

Grafik: DER STANDARD

Ein Kleid so bunt wie die Stadt. Im Innenhof der Calle Fortaleza 56, nur wenige Schritte von den Trampelpfaden der Touristen entfernt, hat Nydia gerade ihren Auftritt. In blau-gelbes Leinen gehüllt, über den Schultern ein weißer Schal, dreht sie sich mit einer kaum zu überbietenden Hüfteuphorie zu den Klängen der beiden Trommler. Der Patio ist voll von jungen Puerto Ricanern. Die Luft vibriert.

"Das sind keine Trommeln, sondern Barilles, alte Barrique-Fässer, die mit Ziegenhaut bespannt werden", sagt Javier Santiago. Der ehemalige Kulturjournalist ist Direktor der Fundación Nacional para la Cultura Popular und bemüht sich seit nunmehr 18 Jahren um die Bewahrung alter puerto-ricanischer Populärkultur. Dazu gehört auch die Musik. "Das, was Nydia hier tanzt, nennt sich Bomba. Das ist eine Art Dialog zwischen dem Körper und den Barilles. Die Hüften reagieren auf die Musik, die Musik wiederum antwortet auf die Hüften."

Als Santiago seine Stiftung 1996 gründete, galt Bomba, eine Mischung aus afrikanischen Elementen und karibischem Taíno, als altbacken und rückwärtsgewandt. Die Platten, die am Markt zu finden waren, konnte man an einer Hand abzählen. Heute ist das anders. Regelmäßig veranstaltet er in seinem kleinen Büro in der Altstadt von San Juan Livekonzerte und Tanz-Sessions. Während sich im Archiv die CDs und Schallplatten bis zum Plafond türmen, füllt sich der Innenhof mit den alten, längst vergessenen Rhythmen. In der Pause gibt's Rum und Kroketten. Das Interesse der Bevölkerung an traditioneller Heimatmusik sei so groß wie noch nie, meint Santiago. "Es sind vor allem die jungen Puerto Ricaner, die zu mir kommen. Scheinbar sind viele auf der Suche nach ihren Wurzeln."

Puerto Rico, mit knapp vier Millionen Einwohnern der kleinste und bevölkerungsärmste Inselstaat der Großen Antillen, ist ein inkorporiertes Gebiet der Vereinigten Staaten. Zwar besitzen die Puerto Ricaner - als Folge des Jones-Shafroth-Erlasses - seit 1917 automatisch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, nicht aber viele der Rechte, die ihre großen Festlandkollegen genießen. Nicht einmal den Präsidenten dürfen sie wählen. Die politische und wirtschaftliche Zugehörigkeit birgt einige Diskrepanzen.

Ein Stern oder viele

Gerade jetzt, nachdem die puerto-ricanische Regierung im Dezember 2012 nach einem positiven Referendum ein Gesuch an die zuständigen US-Instanzen richtete, Puerto Rico zum 51. Bundesstaat der USA zu ernennen, scheint sich das Land in einer regelrechten Identitätskrise zu befinden. Die einen hängen bereits die Stars and Stripes vors Haus, die anderen hingegen halten stolz am einzigen und einsamen Flaggenstern Puerto Ricos fest. In der Hauptstadt San Juan, die seit 1983 aufgrund ihrer beeindruckenden Befestigungsanlagen und der gepflasterten Altstadtstraßen als Unesco-Welterbe firmiert, ist ein rot-weiß-blauer Flaggenkrieg entbrannt. Von den knallig bunten Fassaden ist bisweilen wenig zu sehen.

"Also, ich möchte nicht, dass Puerto Rico Teil der USA wird", sagt Nancheska Hornedo. "Wenn wir alle zusammenhalten, sind wir stärker. In den USA wären wir nur nackt und schwach, ein Staat unter vielen, und nicht einmal ein sehr bedeutender." Die 21-Jährige arbeitet im Café Berlin auf der Plaza Colón. Auf der Speisekarte stehen traditionelle puerto-ricanische Gerichte. "Früher waren wir ein Lokal wie jedes andere", sagt sie. "Burger, Burger, Burger. Aber jetzt, solange wir noch nicht Teil der USA sind, servieren wir Milchferkel und Blutwurst. Und natürlich Rum."

Vorsicht und Langsamkeit

Über wackeliges Kopfsteinpflaster geht es quer durch die Altstadt. Bis in die 1960er- und 70er-Jahre, erzählt man sich, sah es hier aus wie in Havanna. Die Häuser waren desolat, die charakteristischen Holzbalkone im ersten Stock kaum zu betreten, Touristen nicht sonderlich willkommen. Der strenge Denkmalschutz und die Ernennung zum Weltkulturerbe hat die Investoren auf Plan und die Besucher schließlich wieder nach San Juan gerufen. Vorsicht und Langsamkeit sind gefordert, wenn man den Altstadt-Charme zwischen all der politischen Hektik erkennen und genießen will. Das Tempolimit für motorisierten Verkehr liegt bei fünf Kilometern pro Stunde.

Der Paseo del Morro, der schmale Kai entlang der Stadtmauern an der Bahia de San Juan, ist der vielleicht schönste Ort der Stadt. Befreit von Falschparkern und hupenden Autos gilt dieses Weglein allein den Fußgängern. "Sehen Sie das Art-Déco-Hochhaus da drüben? Das sind wir", sagt José Sanchez Gavito Díaz. Der 65-Jährige ist Master Blender bei Bacardi und seit fast 40 Jahren für die Kontrolle des Gärungsprozesses der Destillate mit der Fledermaus auf der Flasche verantwortlich. "Wissen Sie, dieser Rum ist so etwas wie die Seele von Puerto Rico. Das ist Südamerika, das ist Fiesta!"

Eine Stunde später, am anderen Ende der Bucht. Ohne auch nur einen einzigen Schluck des hochprozentigen Melassesafts getrunken zu haben, ist man nach ein paar Minuten beschwipst. Grund dafür ist der Alkohol, auch Engelsanteil genannt, der aus den rund 45.000 Eichenfässern entweicht. Die meisten Bauwerke hier stammen aus den 1930er-Jahren, als die Familie Bacardi aus politischen Gründen Kuba verließ und Puerto Rico zur neuen Heimat auserkor. Obwohl sich der Firmensitz heute auf den Bermudas befindet und obwohl die Zuckermelasse aus Haïti und der Dominikanischen Republik importiert werden muss, ist Puerto Rico ein bedeutender Produktionsstandort für die USA. Grund dafür ist der Entfall hoher Einfuhrzölle.

"Solange Bacardi hierbleibt, ist mir alles recht", sagt Díaz. "Aber wenn Sie ein wirkliches Stück Puerto Rico sehen wollen, ich meine so ein richtig uriges, da wo unser Herz schlägt, und nicht so ein amerikanisiertes Eldorado, dann schnappen Sie sich ein Auto und fahren raus in den Wald!" In Guavate, rund 40 Kilometer südlich von San Juan, treffen sich am Wochenende all jene Puerto Ricaner, die die ewige USA-Diskussion satthaben. Entlang der gebirgigen Route 184 sind offene Grillbuden aufgefädelt, wo es all das zu essen gibt, wonach man in der vergleichsweise slicken Hauptstadt mitunter lange suchen muss. Familienweise pilgern sie hier raus, um nach einigen Kilometern Stau schließlich ins Lechon, ein gegrilltes Milchferkel, in die Chili-Blutwurst oder in die frittierte Kochbanane reinbeißen zu können. Dazu gibt's Maniok, Bier und selbstverständlich jede Menge Rum. "Wir und die USA? Was für eine Frage! Niemals!" (Wojciech Czaja, Der Standard, Rondo, 21.2.2014)