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Ein syrischer Flüchtling löst in einem jordanischen Camp einen Einkaufsgutschein aus Mitteln humanitärer Hilfe ein.

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Christoph Pinter ist Jurist und leitet seit 2011 das Österreich-Büro des UN-Flüchtlingshilfswerks.

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STANDARD: Wie erleben Sie Europas Umgang mit Flüchtlingen?

Pinter: Jahr für Jahr finden viele Menschen Schutz. Gleichzeitig sehen wir massive Probleme, was den Zugang betrifft. Bulgarien reagiert auf die Syrienkrise mit dem Bau eines 30 Kilometer langen Zauns und 1500 Grenzpolizisten. Was uns besonders besorgt, ist die Frage, ob der Flüchtling abgewehrt wird, bevor er überhaupt seinen Antrag stellen kann.

STANDARD: Investiert die EU übermäßig in die Abwehr?

Pinter: Es ist das Recht der Staaten, ihre Grenzen zu schützen und Migration zu steuern, indem sie aussuchen, wen sie reinlassen. Aber, und das ist ein großes Aber, Flüchtlinge sind davon ausgenommen. Der Staat hat kein Recht zu sagen: "Du gefällst mir nicht". Da hapert es, wenn in den Grenzschutz so massiv viel Geld fließt.

STANDARD: Ist es unterlassene Hilfeleistung, einen Zaun zu errichten, vor dem Menschen sterben?

Pinter: Das ist gut möglich.

STANDARD: Gibt es denn eine Rechtsgrundlage, ein Land deswegen anzuklagen?

Pinter: Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat ein solches Urteil gefällt. Italien hat ein Boot nach Libyen zurückgeschickt und wurde dafür verurteilt. Die Länder sorgen sich, dass sie, wenn sie diese Menschen retten, diese auch versorgen müssen. Es wäre eine Lösung, wenn andere Staaten mithelfen.

STANDARD: Das verlangen Griechenland und Italien seit Jahren, aber passiert ist nicht viel. Braucht Europa Quoten für Flüchtlinge?

Pinter: Vielleicht, nur ohne gemeinsame Asylpolitik zäumen wir das Pferd von hinten auf. Aber es muss auch keine überfüllten Lager in Italien geben, die Zahlen sind in einem beherrschbaren Bereich.

STANDARD: Welche Flüchtlingspolitik verfolgt die Europäische Union?

Pinter: Europa baut seit fünfzehn Jahren an einem gemeinsamen Asylsystem mit dem Ziel, dass die Standards überall gleich sind. Davon sind wir weit entfernt.

STANDARD: Ist es angesichts der Verschuldung einzelner Staaten nicht utopisch, überall gleiche Standards zu skizzieren?

Pinter: Es gibt finanzielle Unterstützung, um die Basisversorgung zu sichern. Ich würde es nicht als utopisch bezeichnen, aber es ist ein langer Weg.

STANDARD: Griechenland schafft es nicht einmal, die eigenen Sozialsysteme aufrechtzuerhalten.

Pinter: Das stimmt einerseits. Aber das Asylsystem in Griechenland ist über Jahre vernachlässigt worden. Ähnlich ist es jetzt in Bulgarien. Deswegen ist das UNHCR vor Ort und unterstützt bei der Versorgung, weil Bulgarien es noch nicht schafft, sich um die knapp 9000 Asylsuchenden zu kümmern.

STANDARD: Wäre durch ein gemeinsames Asylsystem die Dublin-II-Verordnung hinfällig?

Pinter: Theoretisch gibt es seit Jänner ein neues Verteilungsprinzip. Das Problem ist, dass es von der Vermutung ausgeht, es sei egal, wo jemand sein Verfahren hat. Es kann aber im Gegenteil ganz entscheidend sein, da die Chancen auf Asyl und Grundversorgung sehr verschieden sind.

STANDARD: Ist es eine Taktik, den Aufenthalt so unangenehm wie möglich zu gestalten, damit weniger Flüchtlinge kommen?

Pinter: Es mag eine Strategie innerhalb der EU sein, die eigenen Standards schlechter zu gestalten als das Nachbarland. Aber es ist für Asylsuchende kein wirkliches Kriterium für die Fluchtrouten.

STANDARD: Ist es in Ordnung, wenn Österreich Christen bevorzugt?

Pinter: Es wird 500 Menschen eine Chance geboten, und das begrüßen wir. Das UNHCR wählt aber nicht nach Religion aus. Unser Fokus liegt bei besonders Schützbedürftigen wie alleinstehenden Frauen, Kindern und Folteropfern. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 20.2.2014)