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Wasserwerfer, wie hier bei Protesten in Hamburg, werden in Deutschland häufig eingesetzt. Jetzt sollen sie nach London kommen.

Foto: dpa/Christians

Dass vor dem Londoner Rathaus Hunderte von Menschen einem Deutschen zujubeln, kommt selten vor. Dietrich Wagner ist es am Montagabend widerfahren: Enthusiastisch begrüßten die Demonstranten an der Themse den Stuttgarter Rentner, der im September 2010 bei einem Wasserwerfereinsatz schwer verletzt wurde und seither fast blind ist.

Nun will der 69-Jährige dazu beitragen, dass Scotland Yard nicht wie geplant drei gebrauchte Wasserwerfer der deutschen Bundespolizei ankauft. "Verhindern Sie diesen Unsinn!", rief Wagner seinen Gesinnungsfreunden zu. "Wasserwerfer sind keine überdimensionierten Duschen, sondern tödliche Waffen."

Augenlider zerrissen

Der pensionierte Ingenieur gehörte am 30. September 2010 zu den Demonstranten gegen das umstrittene Bauvorhaben Stuttgart 21 am Bahnhof der baden-württembergischen Hauptstadt. Der Hochdruckstrahl eines Polizeifahrzeugs traf Wagner mitten ins Gesicht; seine Lider zerrissen, der Augenboden zerbrach, die Augäpfel hingen aus der Höhle.

Trotz sechs Operationen sei die Sehkraft des rechten Auges auf acht Prozent reduziert, berichtete Wagner den Journalisten vor Ort. "Ich kann weder Auto fahren noch einkaufen oder lesen." Die Vorfälle sollen ein gerichtliches Nachspiel haben. Zwei hohe Polizeiführer müssen sich wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt verantworten. In den Zeugenstand dürften auch der frühere Ministerpräsident Baden-Württembergs, Stefan Mappus, sowie der damalige Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf treten. Wagner ist Nebenkläger.

Die Londoner Metropolitan Police interessiert sich spätestens seit den Konsumkrawallen vom August 2011 für Wasserwerfer. Nach tödlichen Polizeischüssen auf einen mutmaßlichen Drogenhändler kam es in der Hauptstadt und anderen großen Städten des Landes zu Ausschreitungen und Plünderungen. Die Ordnungshüter zeigten sich tagelang ohnmächtig.

Fünf Menschen kamen ums Leben, hunderte wurden verletzt, darunter viele Polizeibeamte. Allein in London wurden 1300 Einzelgeschäfte und Filialen größerer Ketten entweder geplündert oder sogar niedergebrannt.

Kein risikofreies Einsatzmittel

Obwohl Wasserwerfer seit 2001 zugelassen sind, fehlen sie bisher im Arsenal der britischen Polizei. Auch die bereits zugelassenen Taser und Gummigeschoße könnten zu schweren Verletzungen führen, heißt es bei Scotland Yard: "Keines unserer Einsatzmittel ist völlig risikofrei." Aber es gelte "eine Lücke" zu füllen, argumentiert der zuständige Polizeidirektor Mark Rowley.

Nicht nur die 40.000 Unterzeichner einer Petition sind anderer Meinung, auch im Stadtrat geben sich viele skeptisch. Wasserwerfer seien unflexibel, "bewegen sich im Schneckentempo und sind nach fünf Minuten leer", glaubt die konservative Ratsfrau Victoria Borwick.

Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson hat sich hingegen zur Übernahme der Anschaffungskosten von umgerechnet 240.000 Euro bereiterklärt. Wenn die Polizei die Fahrzeuge aus einsatztaktischen Gründen haben wolle, müsse er den Wunsch erfüllen, sagt der Konservative. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 20.2.2014)