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Seit der Europawahl 2004 ist Marine Le Pen Mitglied des Europäischen Parlaments. Die Front National gehört im EU-Parlament keiner Fraktion an, seit sich die Fraktion "Identität, Tradition, Souveränität" (ITS), ein Zusammenschluss rechter, euroskeptischer Parteien, 2007 aufgelöst hat.

Foto: EPA/Patrick Seeger

Eine neue Umfrage des Institutes Opinion Way für die Zeitung "Le Figaro" und den Fernsehsender LCI schreibt dem Front National (FN) 20 Prozent der Stimmen bei der Europawahl im Mai zu. Ein Fünftel aller Franzosen will also die Rechtsextremisten wählen, die man heute korrekterweise Rechtspopulisten nennen muss, nachdem rechts des FN neue Gruppierungen auftauchen.

20 Prozent, das ist momentan Platz zwei auf dem Parteienpodium der europäischen Wahlspiele. Die Formation von Marine Le Pen kommt damit auf mehr Sympathiestimmen als die regierenden Sozialisten, die auf ein historisches Tief von 16 Prozent absacken. Vor dem FN liegt einzig die bürgerliche "Union für eine Volksbewegung" (UMP), die frühere Wahlmaschine der Ex-Präsidenten Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy. Und auch sie hat den - sehr relativen - Wahlsieg noch keineswegs sicher.

Denn es könnte gut sein, dass die französischen Wähler nicht nur den Sozialisten von Präsident François Hollande, sondern auch der UMP eins auswischen wollen. Sie ist unter dem unpopulären Parteichef Jean-François Copé derzeit nicht einmal in der Lage, die internen Streitereien - mit Sarkozy oder Ex-Premierminister François Fillon - zu unterbinden. Geschweige denn eine konstruktive Oppositionspolitik zu betreiben.

Keine Experimente erwünscht

Marine Le Pen hatte in den letzten Wochen zwar auch ein wenig Auftrieb verloren. Im vergangenen Oktober hatte sie eine Umfrage sogar mit 24 Prozent der Stimmen als Wahlsiegerin gesehen, vor der UMP (22 Prozent) und dem Parti Socialiste (19 Prozent). Diese Position verscherzte sich die FN-Chefin aber mit ihrer Forderung nach einem Ausstieg aus dem Euro. So skeptisch die Franzosen der EU gegenüberstehen, so wenig wünschen sie gefährliche Experimente wie die Rückkehr zum Franc. Sie wissen, dass das Frankreich und wohl die ganze EU erst recht in die Rezession stürzen würde, und das ist das Letzte, was sie angesichts einer grassierenden Arbeitslosigkeit von mehr als elf Prozent wollen.

Die Schweizer Abstimmung zur "Masseneinwanderung" verleiht den Lepenisten aber wieder Flügel. Sollte Le Pen wirklich die Europawahl gewinnen, käme das einem politischen Beben gleich – natürlich in der Nation der Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit, aber auch in der EU. Für Frankreich wäre es allein schon systempolitisch verheerend, würde doch das seit 1958 geltende Mehrheitswahlrecht ad absurdum geführt: In der Nationalversammlung wäre die stärkste Partei des Landes dann gerade einmal mit zwei (von 577) Abgeordneten vertreten.

Regionalwahl könnte Lage ändern

Ein Schock wäre das aber auch für Europa, in etwa vergleichbar dem Resultat der Schweizer Abstimmung gegen die "Masseneinwanderung". Wenn sogar ein EU-Kernland wie Frankreich in den Griff der Eurogegner kommt, muss sich die permanente, letztlich auch systeminhärente Spannung zwischen EU-Diskurs der Behörden und EU-Skepsis der Basis einmal in einer offenen Krise entladen.

Und da die Abgehobenheit, ja Taubheit vieler Eurokraten weiter anhält und so die an sich programmlosen Protestparteien erst zu ernstzunehmenden Politalternativen macht, kann Marine Le Pen nicht nur die Europawahl - in Realität 28 nationale "Midterm"-Wahlen - gewinnen, sondern im Jahr 2017 Staatspräsidentin Frankreichs werden. Dann kann die EU gleich die Lichter löschen.

Zum Glück sind diese Horrorszenarien wenig wahrscheinlich. Allein schon bis zum Mai wird noch viel Wasser die Seine hinunterfließen. In einem Monat finden in Frankreich Kommunalwahlen statt, und die haben ihre eigene Dynamik; danach kann wieder alles anders aussehen. Zum Beispiel könnte die (ihrer Farbe nach) marineblaue Le Pen schon im März so massiv zulegen, dass die Franzosen bei der Europawahl zwei Monate später genug haben vom Abstrafen und wieder brav Sozialisten und Bürgerliche wählen oder den Grünen oder der Linkspartei ihre Gunst erweisen. Wie auch immer: Solange in Paris keine fähigeren Spitzenpolitiker als Hollande oder Sarkozy aufkommen, hat die Rattenfängerin Le Pen leichtes Spiel. (Stefan Brändle, derStandard.at, 20.2.2014)