ModeratorIn: Der Presserat hat heute Bilanz über das Jahr 2013 gezogen. Zu Fragen über die gravierendsten medienethischen Verstöße des vergangenen Jahres und zu den konkreten Tätigkeiten des Presserates begrüßen wir jetzt sehr herzlich Presserat-Geschäftsführer

Gäste: Zimmermann u. Warzilek: Wir freuen uns im STANDARD-Chat zu sein und auf viele Fragen.

ModeratorIn: Was war aus Ihrer Sicht der gravierendste Verstoß 2013?

Gäste: Warzilek: Aus meiner Sicht war der gravierendste Verstoß eine Bildveröffentlichung zu einem Mordfall in Simmering in der Tageszeitung "Österreich". Gezeigt wurde die Blutspur zum Mordopfer, dessen Haare sowie ein blutverschmierter Fuß und eine blutverschmierte Hand.

UserInnenfrage per Mail: Sie fiel das Urteil zur "Kristallnacht" in "Zur Zeit" aus?

Gäste: Warzilek: Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Der zuständige Senat 1 des Presserats hat jedoch in seiner letzten Sitzung beschlossen, deswegen ein Verfahren einzuleiten.

UserInnenfrage per Mail: Gratulation an Frau Zimmermann! Sie sagen, Sie wollen Onlinemedien stärker beobachten. Glauben Sie, dass es her mehr Verstöße gibt als in gedruckten Zeitungen?

Gäste: Zimmermann: Nicht unbedingt. Allerdings gibt es mehr Möglichkeiten: Es gibt Postings, die bisher nicht beobachtet wurden vom Presserat und es gibt den Umgang mit Social Medias, wo wir uns anschauen müssen, ob unsere Ethik-Regeln ausreichend sind.

ModeratorIn: In Deutschland will der Presserat künftig auch Postings in Foren unter die Lupe nehmen. Wann genau kommt das in Österreich?

Gäste: Zimmermann: Wir beschäftigen uns damit und schauen, was der Deutsche Presserat beschließt.

ModeratorIn: Wie könnte eine Regelung aussehen? Medien werden für diskriminierende Postings verurteilt?

Gäste: Zimmermann: Nachdem Medien für alles, was in moderierten Form veröffentlicht wird, verantwortlich sind, wäre das eine Möglichkeit.

ModeratorIn: In Medien kursieren immer wieder geklaute Facebook-Fotos und Informationen aus Social Media-Kanälen, die die Privatsphäre verletzen. Warum wird hier der Presserat nicht tätig?

Gäste: Warzilek: Wir sind in derartigen Fällen bereits tätig geworden, in einem Fall ist auf unsere Vermittlung hin sogar eine Richtigstellung in dem betroffenen Medium abgedruckt worden.

ModeratorIn: Bezug nehmend auf die Debatte Klenk/Klimek und das Verwenden eines Zitats einer privaten Facebook-Seite. Würde der Presserat ein solches Vorgehen verurteilen?

Gäste: Warzilek u. Zimmermann: An und für sich haben diese Frage die Senate zu entscheiden.

ModeratorIn: Wie Sehen Sie das persönlich?

Gäste: Warzilek: Ich könnte mir vorstellen, dass es dabei um das Thema gehen könnte, ob eine Nachricht korrekt wiedergegeben wurde. Zimmermann: Mir würde eine eigene Regelung für Zitieren aus Social Medias besser gefallen.

UserInnenfrage per Mail: Arbeitet der Presserat eigentlich mit Watchdogs zusammen, zb mit Kobuk?

Gäste: Warzilek: Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis zu dieser Privatinitiative. Wir hatten aber auch Kontakt mit Leuten von bildblog.de, dem deutschen Vorbild von Kobuk.

ModeratorIn: Noch einmal zu Klenk/Klimek: Das korrekte Wiedergeben des Zitats reicht? Und spielt die Tatsache eine Rolle, dass es "privat" gepostet wurde?

Gäste: Warzilek: Ob es sich bei der Aussage von Herrn Klimek um eine private handelt, ist nicht endgültig geklärt. Dafür spräche, dass er sie nur einem eingeschränkten Userkreis zukommen ließ.

UserInnenfrage per Mail: 2013 hat es mehr Beschwerden gegen als im Jahr zuvor. Worauf führen Sie das zurück? Werden Medien immer "böser" oder der Presserat bekannter?

Gäste: Warzilek: In erster Linie ist der Presserat bekannter geworden. In letzter Zeit hat es auch viele Medienberichte über uns gegeben, vor allem wegen des Urteils des Handelsgerichts zum Prozess mit der Mediengruppe Österreich.

ModeratorIn: "Österreich" versuchte ja mehrfach, juristisch gegen den Presserat vorzugegehen - sind da noch Verfahren offen?

Gäste: Warzilek: Das erste Verfahren ist rechtskräftig beendet und klar zu unseren Gunsten ausgegangen. Im zweiten Prozess gibt es die erste Verhandlung am kommenden Montag. Warzilek: In diesem Verfahren will uns "Österreich" das Nachrecherchieren verbieten, weil sie unsere Recherche als wettbewerbsbeeinträchtigend bewerten. Wir haben wegen eines wohlwollenden Artikels in "Österreich" bei der AK und der Frauenministerin nachgefragt, ob da Geld geflossen sei.

STANDARianer: Welche Zeitung hat am meisten bzw. war am meisten eher dabei die ethischen Grundsätze zu brechen? Ich nehme mal an es ist "Österreich" ;-)

Gäste: Warzilek: Im Jahr 2013 führt die Kronenzeitung die Statistik mit acht Fällen an, gefolgt von "Österreich" mit sechs Ethikverstößen. Bei der Kronenzeitung muss man fairerweise dazu sagen, dass allein vier der Verstöße die Berichterstattung rund um die Flüchtlinge aus dem Servitenkloster betreffen.

ModeratorIn: Was war konkret der Verstoß bei der Berichterstattung rund um den Flüchtlingsprotest im Servitenkloster?

Gäste: Warzilek: Die Flüchltinge wurden als "Schlepperbosse" bezeichnet. Außerdem wurde geschrieben, dass sie Schwangere und Kranke auf offener Strecke aus dem Zug oder Auto geworfen hätten und Millionen mit der Schlepperei verdient hätten. In einer Kolumne wurde überdies angemerkt, dass sie ein "Gesindel" seien, das andere Asylwerber in den Dreck ziehe.

R. Lexer: Wie sehr haben Sie darunter zu leiden, dass gerade die reichweitenstärksten Medien nicht am Presserat teilnehmen? (Krone, Österreich, Heute, Die ganze Woche)

Gäste: Zimmermann: Darunter leidet die Arbeit des Presserats nicht, denn auch die Beschwerden, die diese Zeitungen betreffen, werden von den Senaten bearbeitet. Ich persönlich finde es allerdings sehr Schade, dass nicht alle Printmedien die Selbstkontrolle anerkennen. Warzilek: "Krone", "Österreich" und "Heute" haben schon bei Ombudsverfahren des Presserats mitgemacht. Gegen die "Ganze Woche" gab es bisher noch keine Beschwerde. "Heute" hat in letzter Zeit oft Stellungnahmen zu Beschwerden abgegeben.

hofaj: Klagen und Prozesse wie mit "Österreich" bringen dem Presserat verstärkte Aufmerksamkeit - eigentlich müssten Sie sich wünschen ständig geklagt zu werden, oder?

Gäste: Zimmermann: Ich würde mal sagen, dass das gefällte Urteil dem Presserat nützt. Allerdings der Ausgang von Verfahren ist nicht immer genau vorhersagbar und im Falle einer Verurteilung kann das für den Presserat sehr, sehr teuer werden. Zimmermann: Und zwar insofern wenn bei einer Verurteilung der Presserat die Gerichtskosten und die Kosten für beide Anwälte tragen müsste. Warzilek: Gerichtsverfahren binden natürlich auch viele Kapazitäten in der Geschäftsstelle.

ModeratorIn: Der Presserat fällt zwar Urteile, betroffene Medien müssen diese aber nicht veröffentlichen. Warum nicht und was bringt es dann?

Gäste: Warzilek: Der Presserat ist in erster Linie ein Mahner, der zu einer öffentlichen Debatte anregen möchte. Außerdem glaube ich, dass es den Medien durchaus "weh tut", wenn ein unabhängiges Gremium aus der Branche einen Ethikverstoß feststellt. Zimmermann: Die Senate beschließen, ob ihre Entscheidungen öffentlich gemacht werden oder nicht. Es sind fast alle Entscheidungen auf der Webseite des Presserats nachlesbar und werden immer auch auf derStandard.at/Etat veröffentlicht.

UserInnenfrage per Mail: Wenn Medien sparen und Ressourcen weniger werden: Rechnen Sie mit mehr ethischen Verstößen? Weil weniger Zeit zu Recherchieren usw.

Gäste: Zimmermann: Meiner Meinung ist das jetzt schon festzustellen, denn so viele Beschwerden über mangelhafte oder nicht gewissenhafte Recherche, wie es derzeit gibt, gab es noch nie.

R. Lexer: Halten Sie es für wichtig, auch Mitteilungen, zu denen Sie keine Verfahren einleiten, zu veröffentlichen? Der deutsche Presserat macht das meines Wissens nicht.

Gäste: Warzilek: Ich finde es gut, auch darüber zu berichten, wenn kein Ethikverstoß festgestellt wurde oder kein Verfahren eingeleitet wurde. Das Wichtigste ist uns der medienethische Diskurs mit der Branche und der Öffentlichkeit.

ModeratorIn: Gab es 2013 auch Fälle, bei denen Sie schmunzeln mussten?

Gäste: Warzilek: Ja, die gab es. Ein Leser regte sich darüber auf, dass seine Zeitungsannonce zu einer "Tantramassage", die er anbietet, nur bei den Werbeanzeigen erscheinen durfte und nicht in der Rubrik "Liebesglück". Der Presserat war allerdings nicht zuständig, weil sich um Anzeigen der Werberat kümmert. Warzilek: Eher lustig war auch jene Beschwerde über einen Kommentar auf derStandard.at, in dem Frank Stronach als "verwirrter Opa" bezeichnet wurde. Der Senat hat hierzu festgehalten, dass ihm aus eigener Wahrnehmung bekannt sei, dass Frank Stronach nicht immer stringent argumentiere.

ModeratorIn: News wurde wegen eines Artikels über ORF-Moderatorin Nadja Bernhard verurteilt. Können Sie den Fall schildern?

Gäste: Warzilek: "News" erwähnte angebliche Nacktfotos zugegangen seien. Ein beigelegter, anonymer Brief enthielt haltlose Anschüttungen über Nadja Bernhard. Obwohl "News" geschrieben hat, die Anschüttungen nicht näher zu beschreiben, wurden dann doch Details veröffentlicht. Der Senat erkannte darin eine Privatsphärenverletzung

voto: Sind Sie es nicht langsam leid sich mit Michael Jeannee befassen zu müssen? Seine Beleidigungen sind doch regelmäßig hart an der Grenze des Tolerierbaren. Die Wortwahl in der Krone gerade bei Ausländer-Themen ist auch sehr kritikwürdig. Man gießt ge

Gäste: Warzilek: Immerhin hat Herr Jeannee dem Presserat bereits zwei Mal seine "Post" geschickt. Ganz kalt lassen ihn die Verurteilungen durch uns offenbar nicht. Bisher gab es vier Ethikverstöße wegen seiner Kolumne. Zimmermann: Der Presserat hat als Selbstkontrollorgan die Aufgabe ethnische Grundsätze einzumahnen. Bestrafungen obliegen den Gerichten.

Groove: Wie fällt nachträglich ihre Gesamtbewertung zur Berichterstattung um die Affäre Wulff aus? Wulff fordert nun eine ISO-Norm für Journalismus.

Gäste: Warzilek: Die ISO-Norm für guten Journalismus ist unser Ehrenkodex. Die Affäre Wulff war sicher ein außergewöhnlicher Fall, allderings müssen Politiker letzten Endes auch mehr aushalten.

ModeratorIn: Wie wird der Presserat eigentlich finanziert?

Gäste: Zimmermann: Der Presserat finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge der Trägervereine und Mittel aus der Presseförderung. Die Vereins- und die Senatsmitglieder arbeiten ehrenamtlich. Die Geschäftsstelle verfügt über zwei angestellte Mitarbeiter. Insgesamt beträgt das Jahresbudget rund 200.000 Euro.

R. Lexer: Nach einem knappen Jahrzehnt ohne aktiven Presserat in Österreich: Wie sieht Ihr Resümee dieses Zeitraums aus?

Gäste: Zimmermann: Es gab in dieser Zeit zahlreiche Verstöße gegen den österreichischen Ehrenkodex, die von niemanden geahndet werden konnten, ich errinnere nur an den Fall Josef F. oder den Fall Kampusch. Meine persönliche Angst war, dass es sozusagen zu einer Spirale nach unten kommt, daher bin ich froh, dass wir seit 2010 wieder einen Presserat haben.

ModeratorIn: Wegen der neuen Bestimmungen zur Suizidberichterstattung hat es einen gravierenden Verstoß gegeben. Aus welchem Grund wurde die Krone damals verurteilt?

Gäste: Warzilek: Die "Krone" berichtete über den Suizid einer 13-jährigen Schülerin und machte dafür die Mitschüler verantwortlich, da diese die Schülerin angeblich gemobbt hätten. Die Mitschüler wurden zu diesem gravierenden Vorwurf nicht von der "Krone" befragt. Außerdem wurde die Suizidmethode in dem Artikel genau beschrieben. Das kann zu Nachahmungstaten von gefährdete Personen führen (Werther-Effekt).

ModeratorIn: Wir bedanken uns bei Frau Zimmermann und Herrn Warzilek für das Chatten und bei den UserInnen für die interessanten Fragen. Schönen Tag noch!

Gäste: Warzilek u. Zimmermann: Auch wir bedanken uns herzlich für das große Interesse und freuen uns auf ein Wiederkommen.