Bild nicht mehr verfügbar.

Ukrainische Sicherheitskräfte marschierten am Abend auf dem Maidan in Kiew gegen das Aktivisten-Camp auf, wurden aber von einer in Brand gesetzten Barrikade aufgehalten.

Foto: EPA/ALEXEY FURMAN

Bild nicht mehr verfügbar.

Ukrainische Demonstranten bewerfen die Zentrale der Partei von Präsident Janukowitsch.

Foto: Reuters/GLEB GARANICH

Bild nicht mehr verfügbar.

Danach dringen sie in das Gebäude ein.

Foto: Reuters

Bild nicht mehr verfügbar.

In Kiew kommt es auch wieder zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei.

Foto: Reuters

Am Dienstagabend lief auf dem Maidan in Kiew zuerst alles so wie allabendlich seit mehr als zwei Monaten - aber die Reden der Oppositionspolitiker auf der Bühne waren sehr viel emotionaler als in den vergangenen Tagen. Witali Klitschko, einer der Oppositionsführer, richtete einen dramatischen Appell an die Menge und forderte Frauen, Jugendliche und Kinder auf, das Gelände zu verlassen. Arsenij Jazenjuk forderte die anderen auf: "Wir geben nicht auf, wir kämpfen heute um unsere Freiheit."

Die Menschenmenge war tiefberührt, einige Demonstranten hatten Tränen in den Augen. Etwa 20.000 Menschen waren gekommen, um gegen die befürchtete Stürmung des Aktivisten-Lagers zu demonstrieren.

Der frühere Innenminister Juri Lutsenko, Oppositionspolitiker und enger Weggefährte Julia Timoschenkos und selbst mehr als zwei Jahre im Gefängnis, sagte auf der Maidan-Bühne: "Heute Nacht wird entschieden, in welchem Land wir morgen aufwachen oder nicht." Dafür erhielt er tosenden Applaus, die Menge skandierte "Slawa Ukraini, herojam Slawa" (Ehre der Ukraine, Ehre der Helden) und sang patriotische Lieder.

Da bewegte sich bereits ein Großaufgebot der Polizei und Sondertruppen auf den Platz zu, mit Panzerfahrzeugen und Busladungen mit Soldaten der Spezialeinheit Berkut. Kurze Zeit danach wurde geschossen, es brannte lichterloh, Militärfahrzeuge und Kettenfahrzeuge fuhren auf den Platz. Die Demonstranten beantworteten die Wasserwerfer der Sicherheitskräfte mit Molotow-Cocktails. Auf der Bühne forderten die Redner die Soldaten auf, umzukehren: "Ihr seit Ukrainer!"

Es wurde damit gerechnet, dass die Behörden in der Nacht versuchen würden, den Platz völlig zu räumen. Beobachter waren davon überzeugt, dass dies nicht ohne viele Todesopfer abgehen würde. Bis am späteren Abend war die Zahl der Toten bereits auf mindestens dreizehn angewachsen. Die Opfer aufseiten der Demonstranten wiesen Schusswunden auf, hieß es. Todesopfer gab es auch bei der Polizei. Der extremistische "rechte Sektor" hatte die Demonstranten aufgerufen, sich zu bewaffnen.

"Nicht enden wie die Syrer"

Den ganzen Tag über waren Menschen ins Regierungsviertel von Kiew geströmt. Wenn man sie fragte, ob Gewalt das richtige Mittel zur Lösung der politischen Krise sei, reagierten die Leute verärgert bis aggressiv. "Warum verhängt Merkel keine Sanktionen, oder hat sie Angst vor Russland?", rief eine Frau. "Wir wollen nicht so enden wie die Syrer", schrie ein junger Mann und drohte mit dem Baseballschläger.

Am Nachmittag begann die Menge, Pflastersteine aus der Straße vor der Nationalbank zu reißen, um damit auf der anderen Seite, beim Amtssitz von Präsident Wiktor Janukowitsch, Barrikaden zu errichten. Die Geduld der Ukrainer scheint zu Ende zu sein. Wochenlang haben Tausende friedlich im Stadtzentrum Kiews protestiert und in bitterkalten Nächten in Zelten ausgeharrt. Sie haben auf Ergebnisse gehofft, als EU und USA ihre Unterhändler schickten, um mit der Staatsführung und der Opposition zu verhandeln. Doch Janukowitsch spielt auf Zeit, will die Krise aussitzen. Der Westen hofft auf einen Wandel nach den regulären Präsidentschaftswahlen im März 2015.

Doch so lange wollen die Menschen in der Ukraine offenbar nicht mehr warten. Als das Parlament am Vormittag seine Arbeit aufnehmen wollte, hatten sich etwa 7000 bis 10.000 Protestierende im Regierungsviertel versammelt. Damit wollten sie ihrer Forderung Nachdruck verleihen, dass das Parlament endlich die Debatte zur Wiedereinführung der Verfassung von 2004 beginnt. Die Änderung würde dem Präsidenten Machtbefugnisse nehmen und die Ukraine wieder zu einer parlamentarischen Demokratie machen. 2010, kurz nach seinem Amtsantritt, hatte Janukowitsch die Verfassungsänderungen von 2004 annullieren lassen. Zuvor hatte er den Obersten Richterrat mit Gefolgsleuten besetzt.

Keine medizinische Hilfe

Witali Klitschko richtete einen dramatischen Appell an den Westen. Die Vertreter von EU und USA sollten in das besetzte Haus der Offiziere kommen, dort würden sich unsagbar grausame Szenen abspielen. Das Gebäude vis-à-vis dem Parlament war zu Mittag von Demonstranten gestürmt worden. Sonderheiten des Innenministeriums verhinderten am Dienstag Nachmittag, dass Ärzte und Krankenwagen durchgelassen wurden. Verletzte bekamen keine medizinische Hilfe. (Nina Jeglinski aus Kiew, DER STANDARD, 19.2.2014)