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Elias Canetti:
Die Blendung
Hörspielbearbeitung: Helmut Peschina, Regie: Robert Matejka, Sprecher: F. von Manteuffel, Peter Simonischek, Libgart Schwarz u.v.a. € 29,50, Hörverlag, München 2003.

Foto: Archiv
Elias Canettis Roman Die Blendung ist 1935 erstmals in Wien erschienen. Das war ein denkbar ungünstiger Termin für die Schrift, die so vieles prophezeite, was sich um sie herum bereits anschickte, Wirklichkeit zu werden. "Das Schlagen ist eine Kunst", sagt der Hausbesorger, der sich - seit seine Frau gestorben ist, die bei Lebzeiten "nie aus den blauen Flecken herausgekommen ist"- danach sehnt, "wieder einmal recht auf Weiberfleisch loszuschlagen."

Die Bestialität ist in die abendländlich-bürgerlichen Verhältnisse gefahren. Der Protagonist der Handlung, der Sinologe, Bibliothekar und Privatgelehrte Kien, versucht seine Haut zu retten. Ob und wie ihm das gelingt, ist, da dieses Werk Canettis wenig öffentliche Rezeption erfuhr, bis heute Ansichtssache geblieben.

Zu einer solchen wird das rätselhafte Buch vollends jetzt in der Version des Hörverlags, der die verrückte Story um einen Büchernarren als Hörspiel präsentiert. Die berühmten Schauspieler Felix von Manteuffel als Peter Kien, Peter Simonischek als Erzähler, Libgart Schwarz als Therese in den Hauptrollen und viele andere prominente Darsteller der Nebenrollen sorgen zwar für eine spannende Fasslichkeit des schrillen Pandämoniums, das verblüffende Ähnlichkeiten aufweist mit Kafkas grotesken Sexualszenen und auch Horváths absurden Sprechmördern.

Doch die Schnitte und Textreduktionen führen im Ganzen zu einer neuen Handlung, deren Verfasser nun nicht mehr der mit dem Nobelpreis geadelte Schriftsteller Elias Canetti alleine ist. Wir haben es in der Hörbuchfassung jetzt mit einer neuen Blendung zu tun. Die Therese, Hausangestellte und Kiens Frau, nimmt an Gewicht zu, sie rückt noch weiter in die Mitte des Geschehens. Das Verhältnis Kiens zu ihr spitzt sich zu, auf Kosten seiner Selbstbeziehung, deren Reflexionsgehalt durch die Bearbeitung Helmut Peschinas auf ein Minimum reduziert wurde. Diese Eingriffe verteilen die Gewichte zwischen den Figuren Kien und Therese neu. Sie steigern die Groteske und das Drama, mindern aber die psychologische Diskursivität des Romantextes. Thereses Bedeutung im Buch kommt daher, dass Kien sie in die Nebenrolle abzudrängen versucht, während sie immer mehr in sein Leben eindringt und eingreift. In der Hörfassung glückt ihr das indessen von Anbeginn an.

Das erscheint zumindest dann fragwürdig und unzulässig, wenn beispielsweise Kiens im inneren Monolog eingestandenen Schuldgefühle und Selbstbestrafungsbedürfnisse einfach gestrichen werden, nachdem er sie, im Buch auch weniger eindeutig als in der Hörbuchfassung, in ehemäßiger Unsittlichkeit vergewaltigt hat. Die Textstreichung versimpelt gewiss die psychologisch äußerst verklemmte Szene. Sie bringt Thereses Gegenwehr auf ein allzu eindeutiges Niveau, verstärkt dadurch aber die Dämonie ihrer Schläge und Widersprüche, wenn Libgart Schwarz in ihrer unnachahmlich harten und unseligen Art die Satzbrocken herausschleudert:

"Ich hol' den Hausbesorger. Der muss mich schützen. Eine Frau ist allein. Mit Gewalt kann jeder. Ich lass' mich scheiden." Solche kurze Angebundenheit ans krudeste Bewusstsein, dessen Worte wie Steine herausbrechen, wird durch die Befreiung von den reflexiven Lasten des inneren Monologs Kiens deutlicher und ist für die dramatische Schauspielerfassung des Stoffes effektvoll. Wie weit dadurch freilich der gesamte Sub- und Kontext der Erzählung verschoben und verfälscht wird, ist die andere, sehr brisante Kehrseite der Unternehmung, die durch den textkritisch genauen Vergleich mit dem Romantext wohl nicht zu rechtfertigen ist.

Den meisten Lesern aber, die bisher bei der Lektüre der nicht eben unterhaltsamen Blendung scheiterten, wird die Hörbuchversion eine erste Hilfe sein, sich überhaupt einen Überblick über den Inhalt des Buches zu verschaffen. Und das könnte einige verführen, die Lektüre des hochliterarischen Buches noch einmal zu versuchen.

Die Musiken in den Pausen zwischen den Texten, etwa im Abstand von jeweils fünf Minuten, unterstützen die dramatische Fassung, sind aber da, wo sie der Handlung und der Sprache über längere Strecken unterlegt werden, albern und lästig. Im Ganzen ist die Hörfassung ein Versuch, die radikalen grotesken Seiten von Canettis Blendung in den Vordergrund zu rücken, die Intensität der Lektüre des dichterischen Textes freilich gibt sie nicht wieder. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.8.2003)