London - Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat der internationalen Staatengemeinschaft schwere Versäumnisse beim Aufbau eines funktionierenden Rechtssystems in Afghanistan vorgeworfen. Während sich die Aufmerksamkeit auf den Irak konzentriere, seien mehr als eineinhalb Jahre nach der Militärintervention die Afghanistan gegebenen Versprechen nicht eingelöst, hieß es in einem am Donnerstag in London veröffentlichten Bericht.

Fehlende strategische Ausrichtung

Der Wiederaufbau eines funktionierenden Rechtssystems sei wesentliche Voraussetzung für Frieden und Sicherheit, erklärte Amnesty. Das bisherige Hilfsprogramm sei unzureichend und lasse eine strategische Ausrichtung vermissen. Die Finanzmittel seien völlig ungenügend, um die Errichtung einer wirksamen Kriminaljustiz zu garantieren. "Das Ergebnis ist, dass das Justizsystem kaum funktioniert, und wenn es Gerichte gibt, fehlen ihnen die nötigen Mittel zur Ausübung der Rechtsprechung."

Laut Amnesty werden die Legitimität und die Unabhängigkeit der Gerichte außerhalb von Kabul in weiten Landesteilen durch den anhaltenden Konflikt gestört. Täter blieben unbestraft, weil sie auf Grund ihres Einflusses in der Gesellschaft die Gerichte "einschüchtern" könnten. Ebenso würden die Rechte der Angeklagten und der Anspruch auf einen fairen Prozess nicht respektiert. Das gelte auch für zahlreiche Kinder. Die Polizei greife häufig zur Folter, Richtern fehle die notwendige Ausbildung.

Gewalt gegen Frauen

Vor allem Frauen leiden laut Amnesty unter den Mängeln des Rechtssystems. "Vergewaltigung, häusliche Gewalt und Zwangsheiraten von Minderjährigen" würden vom Gesetz nicht geahndet. Einem 18- jährigen Mädchen, das gegen den Willen der Familie ihren Cousin nicht heiraten wollte, sei von einem Richter gedroht worden, sie müsse gesteinigt werden. (APA/dpa)