Meer, Sex und Mond: "Mondlicht" gehört zu Siegfried Anzingers Serie über die gefährliche Wasserfrau Lorelei.

Foto: Lothar Schnepf

Wien - Treffen sich eine Squaw, ein Indianer und ein Cowboy zum entschleunigten Dreier. Beugt sich eine gestiefelte Dame am Strand wie eine Ringrichterin über einen erschlafften Mann. Klammert sich unter dem Titel Auferstehung II ein Lendenschurzträger an einen Vogel mit Fahrwerk und Heckflügeln, während ein wehender Duschvorhang den Blick auf ein grelloranges Ungewisses freigibt.

Der Eingangsraum des Bank-Austria-Kunstforums hat mit seinen Marmorsäulen an sich schon etwas Sakrales. Derzeit könnte man glauben, es habe dort ein aberwitziger Kirchenmaler gewütet. Einer, der seine eigenen Mythen unter die Leute bringen wollte, wo die christliche Ikonografie mit Cowboy-und-Indianer-Spielen und Wasserfrauen kombiniert ist. Wo Kreuz und Marterpfahl aus demselben Holz geschnitzt sind und gefesselte Westernhelden oft Blowjobs kriegen.

Ob der im oberösterreichischen Weyer geborene Maler Siegfried Anzinger einen guten Religionsstifter abgäbe, ist nur eine von vielen Fragen, die man sich stellen kann, während man sich im Kunstforum in den lustvoll verspielten Kosmos des 60-Jährigen saugen lässt. Zu sehen sind vorwiegend Arbeiten aus den Jahren 2012 und 2013. Eine Retrospektive sollte die Schau nicht werden, eine solche hätte zu starken Schlusspunkt-Charakter gehabt.

Lediglich ein Raum widmet sich der Vergangenheit des in Köln lebenden und unterrichtenden Künstlers, nämlich seinem Auftritt auf der Biennale in Venedig 1988. In den 80er-Jahren gehörte Anzinger den Jungen Wilden an, huldigte der Auffassung, dass "nur ein geschundenes Bild eine Berechtigung" habe, wie er im Interview erzählt. Von Neoexpressionismus und "Schauts, wie's mir geht"-Bildern distanzierte er sich aber schon früh. Er interessierte sich mehr für die Exponate des Kunsthistorischen Museums. Heute schlitzt Anzinger den Malgrund nicht mehr auf und klatscht nicht mehr Ölfarbe wie "überschüssiges Sperma" auf Leinwände.

Umarmte Bilder

Seit Mitte der 90er-Jahre ist Leimfarbe das bevorzugte Medium des Künstlers. Diese Technik zwingt einerseits zum zügigen Arbeiten: Bilder müssen innerhalb einer "Umarmung" von wenigen Stunden abgeschlossen werden. Andererseits ist Leimfarbe matt, ein Leuchten müssen sich Betrachter "selbst besorgen". Die Gewichtlosigkeit und Flachheit der Bilder entspricht Anzingers Bestreben, in seinem Spätwerk immer passiver zu werden.

Zwischen Karikatur und Tafelbild, "an der Schmerzgrenze zur Illustration", liegen die großformatigen Gemälde im Kunstforum. Mit schelmischem Vergnügen schafft der Maler "gallertartige Begegnungszonen" (Kurator Florian Steininger) für die Protagonisten seiner religiösen, kunsthistorischen und popkulturellen Sozialisierung. Da wird etwa Raffaels Madonna im Grünen zur dicken Sennerin mit Kanaldeckel-Heiligenschein, während den Titel eine phallische Engelstrompete stiftet.

Der "Witz, den zwei Farben miteinander treiben", ist Anzinger dabei wichtiger als jener des Erfinders. Die Motive sind sozusagen eher Nebenprodukt, wenn der Maler sich von intuitiv gesetzten Linien und Farbflächen verführen lässt. Das ist beruhigend, denn angesichts von Zügen, die den Hintergrund für ein Paar in Missionarsstellung bilden, kann man sich schon wundern. Die "komplett abstrakten Maler" hätten am wenigsten Probleme mit seiner Kunst, erklärte Anzinger im Profil -Interview: "Die sehen durch die Motivik hindurch."

Wenn man zwischendurch alles für einen Witz hält, dann ist einem Anzinger übrigens schon zuvorgekommen, lautet ein Werkstattgeheimnis doch: "Nach dem Schmunzeln muss noch Malerei übrigbleiben." (Roman Gerold, DER STANDARD, 18.2.2014)