Bilder vom Fest gibt's in dieser Ansichtssache.

Foto: Alexander Reisenbichler

Jang-seung sind Dorfwächter, die in der Nähe von Dorfeingängen und Tempeln aufgestellt wurden, um böse Geister und Dämonen abzuwehren. Heutzutage kann man diese hölzernen Dorfwächter zwar an vielen Orten bewundern, jedoch kaum mehr an Dorfeingängen, sondern an touristischen Orten und Aussichtspunkten. Es gibt auch steinerne Tempelwächter, die Dol-Jang-seung genannt werden (dol bedeutet Stein).

Zumeist stehen diese Dorfwächter als Paar. Der männlichen Wächter ist durch einen reich verzierten Kopfschmuck gekennzeichnet und hat auf der Vorderseite die chinesischen Zeichen "Großer General unter dem Himmel" eingeschnitzt. Die weiblichen Dorfwächterinnen sind zumeist etwas kleiner, der Kopfschmuck ist bescheidener und die chinesischen Zeichen auf der Vorderseite bedeuten "Weiblicher General der Unterwelt" (es gibt jedoch auch andere Inschriftenvarianten).

Da zwei Dorfwächter in der Nähe des Tempels Silsangsa schon stark beschädigt waren (diese Dorfwächter sind, wie der Name schon sagt, nicht speziell als Tempelwächter gedacht, dafür sorgen die Dol-Jang-seung, siehe Fotostrecke), wurde beschlossen, zwei neue Dorfwächter durch den extra dafür ausgebildeten Statuenschnitzer Herrn Kim (Herr Kim hat jahrelang unter einem Meister gearbeitet und dadurch seine Fähigkeiten und seinen Ruf erworben) schnitzen zu lassen. Bei einem Glas Bier nach dem wöchentlichen Fußballspiel, wurden die verschiedenen Aufgaben zur Vorbereitung des Fests verteilt, verschiedene Leute, darunter auch ich, mussten je einen 20 Liter-Kanister Makkoli (koreanischer sechsprozentiger Reiswein) mitbringen, andere Leute kauften zusammen ein halbes Schwein usw.

Das Dorffest

An einem Samstag um 11 Uhr vormittags begannen die Vorbereitungen, eine kleine Bühne wurde errichtet, zwei Zelte zur Essensausgabe aufgestellt, einige kochten. Mitglieder des Fußballklubs, dem auch ich angehöre, hatten die Aufgabe, die Dorfwächter ungefähr 500 Meter von der Stelle, an der sie von Schülern bemalt wurden, dorthin zu bringen, wo sie aufgestellt werden sollten. Diese Dorfwächter sind sehr schwer und je acht Leute - vier vorne, vier hinten - trugen je einen Holzriesen. Mit Stofftüchern wurden die Dorfwächter an Bambusstangen befestigt, die dann von uns geschultert wurden. Vor uns ging die Samulnori-Gruppe der Volksschule (Musikgruppe mit vier verschiedenen Instrumenten, hauptsächlich Trommelinstrumente) mit dem Samulnori-Lehrer Yun Yeo-jeong. Auf halbem Weg wurden wir mit Makkoli und Kimchi verköstigt, auch die fleißige Volksschulmusikgruppe bekam ein paar Schlucke Makkoli ab. Gestärkt ging es weiter zu dem Platz, an dem die beiden Dorfwächter aufgestellt werden sollen. Dort angekommen drehten wir mit den geschulterten Dorfwächtern unter musikalischer Begleitung einer zweiten Samulnorigruppe ein paar Runden, einige Kinder setzten sich unterdessen auf die Dorfwächter und wurden mitgetragen. Immer wieder kamen Leute und steckten uns Geldscheine zu, das Geld wurde zur Deckung der Ausgaben des Dorffests verwendet.

Dann begannen wir die Dorfwächter in zuvor gegrabene Löcher zu stellen, hielten sie mit den gespannten Tüchern aufrecht und füllten die Löcher mit Steinen und Erde. Vor den Dorfwächtern wurde ein Gabentisch aufgestellt und Namu-si, ein Mitglied des Fußballklubs, liest das geschriebene Gebet vor: "Der Dorfwächter symbolisiert die Koexistenz des Himmels und der Erde, der Menschen und der Götter. Der Himmel soll uns eine gute Ernte bringen, Frieden mit unseren Nachbarn und dem gesamten Dorf." Diese Ansprache wurde überspitzt feierlich dargebracht, es schien mir, dass die kulturelle Tradition weiter geführt werden soll, jedoch der Spaßfaktor vor dem Glauben steht.

Viele Leute verbeugten sich vor den Dorfwächtern und stärkten sich dann mit ein paar Schälchen Makkoli, einige Schüler der alternativen Schule Jageun Haggyo ("Kleine Schule") und andere improvisierte Bands spielten südkoreanische Rockmusik der 1980er-Jahre (Kim Kwang-seok, Han Tae-su) und ein paar neuere südkoreanische Popsongs. Jung und Alt tanzte vor der kleinen hölzernen Bühne. Um etwa vier Uhr wurden die Zelte abgebaut und alles weggeräumt, gegen halb sechs traf man sich in einem sogenannten Hof-Jib (Hof kommt von dem deutschen Wort Hofbräuhaus, Jib bedeutet Haus, dort gibt es Bier vom Fass und normalerweise auch Hendl) und feierte weiter.

Indras Netz als Metapher der Interdependenz

Auf dem männlichen Dorfwächter stand 'Netz', auf dem weiblichen, die in diesem Fall sogar die größere war - normalerweise ist es genau umgekehrt -, 'Netzknoten'. Diese beiden Symbole wollen verdeutlichen, dass jedes Lebewesen ein Knoten in einem riesengroßen Netz ist, sprich alle Lebewesen sind miteinander verbunden und voneinander abhängig in diesem großen, die ganze Welt und den ganzen Kosmos umspannenden Netz Indras. Fügt man einem Knoten Schaden zu, wirkt sich das auf alle übrigen Knoten aus. Diese philosophische Metapher des buddhistischen Holismus und der Interdependenz findet sich in einem buddhistischen Text, dem Mahayanatext Buddha-Avatamsaka Sutra (Blumengirlandensutra), das ursprünglich auf Sanskrit abgefasst wurde und deren chinesische Übersetzungen im ostasiatischen Raum sehr großen Einfluss ausübten und ausüben. Der Text führte in Korea zur Bildung einer eigenen Schule (Hwaeom), ziert heute diese beiden wunderschönen Dorfwächter und spannt einen Bogen vom alten Indien zu einem Dorffest in den Bergen Südkoreas. Dieses fast 2000 Jahre alte supranationale Konzept predigt auch heute noch die Einheit der Welt in einem Zeitalter, das sich global nennt und in dem nationalistische Ideen nicht nur blühen sondern von einigen Gruppen auch noch wissenschaftlich belegt werden wollen.

Ein profanes Nachwort

Am folgenden Montag riefen einige Eltern empört in der hiesigen Volksschule an und beschwerten sich, dass ihre Kinder nach Makkoli gerochen und zwei Kinder sogar erbrochen hätten, da ihnen übel war. Ein paar Kinder hatten die Tatsache, dass auf dem Festplatz ein unbeaufsichtigter, 30 Liter fassender Makkolikrug stand, ausgenutzt. (Alexander Reisenbichler, derStandard.at, 18.02.2014)