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Sebastian Kohlhepp als Albert Herring.

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Wien - Im idyllischen Städtchen Loxford nimmt das Liebesleben seinen beunruhigend lawinenartigen Lauf - jedenfalls in den Augen von Lady Billows. Die gestrenge Moralinstanz würde ums Örtchen wohl gerne einen Keuschheitsgürtel legen und jeder versuchten Seele einen solchen anempfehlen. Vielleicht ein Langfristplan. Vorerst gilt es jedoch, Erste Keuschheitshilfe zu leisten und durch die Wahl der Maikönigin eine alte Tradition der Sittenermahnung aufleben zu lassen.

Bei der Kandidatinnensuche durch die Honoratioren wird jedoch nur Loxfords Abweichung vom Tugendpfad offenkundig; Lady Billows (passend herrisch Barbara Schneider-Hofstetter) gerät ob der Vorgeschlagenen jedenfalls in düsterste Laune. Schließlich ein Kompromiss in Form von Geschlechtswechsel: In Ermangelung einer Unschuldigen wird Albert Herring Maikönig, wodurch aber die Probleme erst beginnen, denen Regisseurin Brigitte Fassbaender elegante Form verleiht.

Sie belebt das Einheitsbühnenbild aus gewundenem Steg und Schattenrissen, die eine noble Gesellschaft andeuten (Bühnenbild: Bettina Munzer), mit markanten Figuren: Haushälterin Florence (profund Martina Mikelic) ist eine Grazie der Verkrampfung, Pfarrer Gedge (solide Morten Frank Larsen) ein sein Begehren nur notdürftig verhüllender Voyeur. Und Schulvorsteherin Miss Wordsworth (witzig Birgid Steinberger) gibt sich keusch. Sie hat jedoch einen interessanten Bückweg gefunden, ihren verlängerten Rücken der Ansicht preiszugeben.

Spaß der Zweisamkeit

Immerhin unverkrampft die Jugend: Metzgerbursche Sid (sicher, sehr angenehme Stimme: Daniel Ochoa) und seine Nancy (solide und witzig Dorottya Láng) lassen sich die Späße der Zweisamkeit nicht verderben, während Herring nicht aus dem Käfig mütterlicher Strenge herauskommt. Dann jedoch das Krönungsfest: Sid mixt Freund Albert Rum in die Limonade, wodurch dessen erstes Besäufnis zum Akt der Selbstbefreiung gerät. Nachdem sich Albert in einer Telefonzelle vom Blasendruck befreit hat, ist nicht Feierschluss; er setzt seine Zechtour fort und gilt bei den Stadtbewohnern tags darauf als aus dem Leben geschiedener Maikönig.

Grandios, wie Komponist Benjamin Britten in Albert Herring eine heuchlerische, kollektive Trauerekstase komponiert. Und virtuos steigert die Regie diese Klageorgie in einem langsamen szenischen Crescendo - bis Herring auftaucht und zum Objekt von Vorwürfen wird, mit denen auch Mutter (witzig Elvira Soukop) nicht geizt. Sebastian Kohlhepp (als Albert) gibt (auch vokal profund) auch eine Ahnung davon, dass der Wandel von Mums Lamm zum selbstbestimmten Jungen nicht ohne Irrfahrt durch seelische Zweifel erfolgt, wie das ja auch bei Britten zu hören is

Auch dank Dirigent Gerrit Prießnitz: Bei dieser Übernahme vom Tiroler Landestheater erweckt er mit dem guten Orchester sowohl Brittens musiktheatralisch sehr präzise instrumentale Gestik wie auch dessen farbenreiche Klangfantasien und trägt so zu einer untadeligen Aufführung ohne Schwächen bei. Applaus. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 17.2.2014)