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Matthias Hartmann: "Man kann nicht den Theaterdirektor zum Sachwalter eines langsamen Erstickungstodes machen."

Foto: APA/Jaeger

Und schon wieder eine Abfuhr. Das ungarische Nationaltheater sagte seine Teilnahme an einem vom Burgtheater im März geplanten Ungarn-Festival ab. Das Budapester Ensemble, so die Erklärung, solle nicht wegen der Burg und der im österreichischen Theaterleben "tobenden Debatten, wegen Ereignissen mit Skandalgeruch zu irgendeinem Spielball werden".

Und Oppositionspolitiker verlangen Matthias Hartmanns Rücktritt, nachdem am vergangenen Freitag die Ensembleversammlung mit 83 von 116 Stimmen einen Misstrauensantrag gegen ihren Chef sowie gegen den Geschäftsführer der Bundestheaterholding, Georg Springer, beschlossen hatte. In einem offenen Brief an Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) forderten die Künstler Transparenz. Dass die im November 2013 entlassene ehemalige kaufmännische Direktorin, Silvia Stantejsky, allein für das millionenteure Schlamassel an der Burg verantwortlich sein soll, wollen sie nicht glauben. Die Vorwürfe gegen Stantejsky werden derzeit von Wirtschaftsprüfern untersucht.

STANDARD: Ist es nicht skurril, wenn sich ausgerechnet das umstrittene ungarische Nationaltheater weigert, an der Burg zu spielen?

Hartmann: Na ja. Das überlebt die Burg, so umstritten, wie die sind.

STANDARD: Überraschte Sie das Misstrauensvotum des Ensembles?

Hartmann: Ich verstehe es in erster Linie so: Man will nicht weiter mit anschauen, wie unsere ehemalige kaufmännische Geschäftsführerin öffentlich hingerichtet und ihr die Schuld an allem gegeben wird. Das verstehe ich. Natürlich schmerzt es, und ich nehme die Sache sehr ernst. Tatsache ist, Theater ist ein heterogener Betrieb, die Befindlichkeiten ändern sich wie Amplituden die ganze Zeit. Aber Schauspieler sind nicht dumm. Sie lassen sich nicht instrumentalisieren, weder vom einen noch vom anderen. In der Versammlung gab es zur Abstimmung nur die Alternativen für oder gegen. Wer also für Stantejsky etwas tun wollte, richtete sich automatisch gegen mich beziehungsweise gegen Springer - und umgekehrt. Das verzerrt die Sache allerdings sehr. Außerdem hat sich da was überschnitten: Das Ensemble kennt noch nicht den Bericht der Wirtschaftsprüfungskanzlei und die darin enthaltenen Anschuldigungen, wir wollten Stantejsky zuerst Gelegenheit zu einer Stellungnahme geben.

STANDARD:  In dem offenen Brief an den Minister heißt es auch, Sie führten ein Regime der Angst, hätten mit Entlassungen gedroht.

Hartmann: Das trifft mich doppelt hart und ist ungerecht. Ich habe, im Gegensatz zu den meisten Intendanten, zu meinem Amtsantritt keinen Kahlschlag gemacht, musste aber sukzessiv sparen. Das ist für alle unangenehm und wirkt vor dem Hintergrund dieser Krise noch weiter verunsichernd. Und ich habe überlegt: Wer spielt nicht, wer ist nicht pragmatisiert? Doch dann ließ ich mir das durch den Kopf gehen und erwog andere Sparmaßnahmen. Ich habe das den Schauspielern auch kommuniziert.

STANDARD: Wird von den Sparmaßnahmen Personal betroffen sein?

Hartmann: Das ganze Haus wird weiter sparen müssen. Aber bevor es Menschenopfer gibt, muss man alles daran setzen, andere Lösungen zu finden.

STANDARD: Wie etwa den Hanuschhof verkaufen oder das Kasino am Schwarzenbergplatz schließen?

Hartmann: Ersteres liegt nicht bei mir, aber wenn's keine andere Möglichkeit gibt, wäre es eine Option. Das Kasino zu schließen wäre furchtbar. Das ist der Ort, wo Theater in den zeitgenössischen Diskurs eintritt. Wir verlieren Anschluss an die Kulturmetropolen im deutschsprachigen Raum. Lieber Immobilien verkaufen als Spielstätten schließen! Hier will keiner zum Theatermörder werden.

STANDARD: Millionenschulden, eine - vorsichtig formuliert - kreative Buchführung, dubiose Überweisungen: Hätte Ihnen das nicht auffallen müssen?

Hartmann: Die Geschäftsbereiche sind eindeutig getrennt: Der künstlerische Direktor macht Kunst, der kaufmännische Direktor ist für die Zahlen zuständig. Der Kaufmann setzt sich ja auch nicht ans Regiepult, und ich gehe nicht in die Buchhaltung, um dort misstrauisch zu prüfen. Die Aufgabenteilung sieht vor, dass ich mit den Dramaturgen und Künstlern das Programm erarbeite, das ist ein sehr filigranes Bauwerk. Wenn es fertig ist, kalkuliert der kaufmännische Direktor die Machbarkeit. Natürlich habe ich zusammen mit dem Kaufmann die Gesamtverantwortung, und die möchte ich auch übernehmen. Aber ich bin kein Wirtschaftsdetektiv und kann nicht mehr sehen, als interne Revision und jährliche Wirtschaftsprüfer es immer ausdrücklich und uneingeschränkt testiert haben. Ich muss davon ausgehen, dass die Zahlen, die mir vorgelegt werden, stimmen.

STANDARD: Also haben Sie das einfach durchgewinkt?

Hartmann: Nein. Ich habe gegeben, was ich konnte, ich habe die Zuschauereinnahmen um fast dreißig Prozent gesteigert, die Produktionskosten gehalten und beim künstlerischen Personal ebenfalls um knapp dreißig Prozent optimiert. Parallel zur Finanzkrise vergessen alle, dass wir eine enorme Akzeptanz beim Publikum haben. Es arbeiten hier großartige Künstler, Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner. Wir hatten einen künstlerischen Höhenflug! Gleichwohl sind die Verbindlichkeiten immer weiter gestiegen und wurden unter anderem durch die Abschreibung der Produktionen in die Zukunft verschoben.

STANDARD: Warum macht man das?

Hartmann: Immer wieder gab es wohl die Hoffnung, dass es in der Zukunft eine Erhöhung des öffentlichen Zuschusses gibt und dass man sich so retten können würde.

STANDARD: Besteht der Verdacht persönlicher Bereicherung?

Hartmann: Das kann ich mir nicht vorstellen! Aber Stantejsky ist dabei, zu den von der KPMG gemachten Vorwürfen zu Kassenentnahmen Stellung zu beziehen. Ich bin überzeugt, dass sie immer zum Besten des Theaters handeln wollte.

STANDARD: Es herrschte das Vier-Augen-Prinzip, mussten Sie nicht ab 10.000 Euro mitunterschreiben?

Hartmann: Ich habe darauf vertraut, dass das interne Kontrollsystem funktioniert, weil es jährlich überprüft wurde. Was mir nicht vorgelegt wird, kann ich allerdings nicht unterschreiben.

STANDARD: Die Lohnverrechnung wird vom Burgtheater selbst gemacht. Sollte das nicht Aufgabe der Holding sein?

Hartmann: Tatsache ist, dass die interne Revision der Holding und die Wirtschaftsprüfer uns immer tadelloses Gebaren bescheinigten, sowohl was das Kassenwesen als auch was das interne Kontrollsystem anbelangt. Es war alles sehr strüppig und schwer durchblickbar. Aber vielleicht erinnern Sie sich, dass ich in meiner Rede zum 125-Jahr-Jubiläum des Burgtheaters warnte: Jeden Tag, an dem wir arbeiten, wie wir arbeiten, machen wir Schulden. Und ich bat die Politik um Hilfe. Ich verstehe Kulturpolitik so, dass sie definiert, wie das Angebot sein soll, und dieses dann finanziell auskömmlich ausstattet. In dieser Weise ist der neue Minister auch mit mir in einen fairen Dialog getreten.

STANDARD: Minister Josef Ostermayer als Eigentümervertreter hat aber im Standard-Gespräch bereits klargestellt, dass es nicht mehr Geld geben wird.

Hartmann: Ich warte jetzt erst mal hoffnungsfroh auf den nächsten Termin mit ihm. Da wird es darum gehen. Grundsätzlich muss es ja einen Weg aus der Sackgasse geben, in der wir fahren. Jede jährliche Lohnerhöhung ist ein Defizit von ca. 1,2 Millionen Euro. Von den 13 Millionen Euro, die wir in den letzten Jahren sparen mussten, haben wir elf Millionen erreicht. Das ist eigentlich sensationell. In Bochum war eine Anpassung durch die öffentliche Hand selbstverständlich. Auch in Zürich wurden uns Tariferhöhungen natürlich abgegolten. Man kann nicht den Theaterdirektor zum Sachwalter eines langsamen Erstickungstodes machen. Wenn es immer weniger wird, müssen jedes Jahr soundso viele Menschen das Theater verlassen. Und es muss jedes Jahr zwei, drei Produktionen weniger geben. In ein paar Jahren habe ich kein Repertoire mehr. Das ist eine Milchmädchenrechnung. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 17.2.2014)